Die deutschen Kolonisten im Süden der Ukraine

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Die deutschen Kolonisten im Süden der Ukraine - Bericht von: Deutsches Konsulat Odessa. 12. September 1924

Deutsches Konsulat Odessa
K/J
K.Nr. 198
Auswärtiges Amt IV eing. – 2 Okt. 1924

Die deutschen Kolonisten in im Süden der Ukraine, im besonderen im Odesser Gouvernement; Zahl und Konfessionszugehörigkeit; die Lage vor dem Kriege im allgemeinen günstig; bolschewistische Revolution erweckt keine Sympathien; Auswirkung der Revolution in wirtschaftlicher, kultureller und religiöser Hinsicht; gegenwärtige Einstellung der Kolonistenbevölkerung; das neue Landgesetz; welche Möglichkeiten hat Deutschland zur Aufrechterhaltung und Stärkung der deutschen Kulturinseln in Russland.

Die deutschen Kolonisten im Süden der Ukraine, der Krim und Bessarabien bezifferte man vor dem Kriege auf etwa 400.000 Seelen. Durch Krieg, Revolution und Hungersnot ist ihre Zahl zweifelslos erheblich zurückgegangen, sodass man vorsichtiger Schätzung die deutschstämmige Bevölkerung im Süden der Ukraine gegenwärtig nicht mehr als etwa 300.000 Seelen zählen dürfte. Davon entfallen auf das Gebiet der Krimrepublik etwa 30.000, auf Bessarabien etwa 50.000, auf das Odessaer Gouvernement 120 Tausend, der übrige Teil auf die Gegenden von Prischib, Mariupol, Melitopel und Kronau. Die Lage der Kolonistenbevölkerung im hiesigen Gouvernement, die zweifellos mit das wertvollste Element der deutschen Kolonisten in Russland überhaupt darstellt, kann man wohl als typisch für die gesamten deutschen Kolonistensiedlungen im Süden der Ukraine ansehen. Die deutschen Kolonien im früheren Chersoner jetzigen Odessaer Gouvernment zählten vor dem Kriege einschliesslich Bessarabien über 200.000 Seelen [..] in der hiesigen Gegend besonders erbittert [ge…] Kampf um die politische Macht zwischen der roten und weissen Armee, der gerade das Odessaer Gouvernement zum Schauplatz der blutigsten Kämpfe […] und die im Jahre 1921 einsetzende Hungersnot […] gerade auf die in der hiesigen Gegend ansässigen Kolonistenbevölkerung stark dezimierend gewirkt hat sich um etwa von 20 bis 30 % gegenüber der Vorkriegszeit verringert und wenn auch seit dieser Zeit zweifellos eine gewisse Erholung nicht [zu er-] kennen ist, so ist doch der Verlust bei weitem nicht ausgeglichen. Der Konfession nach sind 60.000 katholisch und etwa 50.000 protestantisch. Die Siedlungen sind über das ganze Gouvernement [ver] streut; katholische und protestantische Dörfer [wechseln] regelmässig ab, sodass eine regionale [Trennung] nach der Konfession vermieden ist. Ein Verz[eichnis ] der einzelnen Dörfer und ihrer Einwohnerzahl [füge] ich in der Anlage bei.

Man wird die Lage der deutschen Koloni [sten] ihre Stellungnahme zum Sowjetregime und ihre Wünsche für die Zukunft nur verstehen, [wenn man] sich ihre früheren Lebensverhältnisse vergegen[wär]tigt. Die deutschen Kolonistensiedlungen hatten [vor] dem Kriege kulturell und wirtschaftlich eine [ausser] ordentliche Blüte erreicht. Der durchschnittliche Besitz betrug 40 bis 60 Dessjatinen, doch war [in] jedem Dorf eine ganze Anzahl von Höfen mit 10[0] mehr Dessjatinen, 40 bis 50 Pferden, 80 Kühen [und] Maschinenbetrieb vorhanden. Schule und Kirche in musterhafter Ordnung. In den grossen Ansiedlungen, wie Liebenthal und Hoffnungsthal, Marien[thal?] und anderen waren Mittelschulen und sogar Gym[nasien und] Theater, eigene Krankenhäuser u.s.w. vorhanden.

Dass dieser Blütestand zweifellos den Neid aller Panslawisten und Deutschenhasser erregt hatte, dass von Regierungsseiten allen Russifizierungstendenzen willig Vorschub geleistet wurde, und nur der Ausbruch des Krieges die Durchführung der in diesem Sinne bereits beschlossenen Gesetze verhindert hat, ändert nichts an der Tatsache, dass der deutsche Kolonist in den langen Jahrzehnten vor 1914 in durchaus günstigen kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnissen lebte. Bei allem zähen Festhalten an seinem deutschen Charakter, deutscher Kultur und Sprache ordnete er sich doch loyal in den Rahmen des russischen Staates ein und hat während des Krieges mit wenigen verschwindenden Ausnahmen im russischen Heere tapfer seine Pflicht und Schuldigkeit getan.  So kam es, dass die deutschen Kolonisten in der bolschewistischen Revolution, die ihn seines sauererworbenen Besitzes berauben, sein kulturelles Leben vernichten und seien Religiosität verletzen müsste, keine Befreiung aus irgendwelchen Fesseln erblicken konnte. Er stellte sich darum auf die Seite ihrer Gegner, kämpfte zuerst zusammen mit der weissen Armee, dann allein gegen die an Zahl überwiegende rote Armee, anfänglich nicht ohne Erfolg, um schließlich aber der Übermacht und aus Mangel an einheitlicher Führung und Organisation zu erliegen. Die nun folgenden Repressivmaßnahmen, die in einzelnen Dörfern die Bevölkerung um die Hälfte vermindert, die dann bei dem weiteren Ausbau des Sowjetregims einsetzende wirtschaftliche Enteignung, kulturelle und religiöse Kneblung war nicht dazu angetan, den Kolonisten mit Sympathie für das neue Regime zu erfüllen. Wie hat sich nun im Laufe der letzten Jahre die Sowjetpolitik im Einzelnen auf die [wirt]schaftlichen und kulturellen Daseinsbedingung deutschen Kolonisten ausgewirkt?

Die früheren Besitzverhältnisse [Randnotiz!] durch die Landenteignung völlig über den Haufen geworfen. Jede Kolonistenfamilie bekam pro Kopf 2 ½ Dessjatinen zugewiesen, Pferde und Vieh [waren] entweder vorher schon den Bedürfnissen des [..] krieges und den Folgen der Hungersnot zum [Opfer ge] fallen oder wurden jetzt, der Landverteilung entsprechend schematisch verteilt. Der Kolonist […] in 40 bis 50 jähriger harter Lebensarbeit [sicherlich] auf schuldfreiem Hof und in wohlhabenden Verhältnissen sah, musste nun ohnmächtig zuschauen [wie] die Früchte seiner Lebensarbeit vernichtet und [..] sauererworbener Besitz dem Nesamoschnik, der [sein] ganzes Leben lang von seiner Freigebigkeit [..] hatte übergeben wurde, wie durch die Unfähigkeit dieser neuen Besitzer das ehemals fruchtbare [..] nur zum Teil ausgewertet und schliesslich wieder zur unfruchtbaren Steppe wurde. Darüber hinaus [wur]de ihm durch Steuerdruck und systematische [..] die Möglichkeit genommen, durch Hinzupachten [seines] früheren Landes, das die Nesamoshniki ihm ge[..] gen entsprechende Vergünstigung ablassen wollte [..] seine Wirtschaft wieder aufzubauen. Diese systematische Erdrosselung jeglicher Initiative und [..]tigkeit, die amtlich geleitete und geförderte [..] und Schimpfkampagne gegen den Kulak „den Aus[…] dessen ganzes Dasein härteste Arbeit gewesen [..] gerade diese letzteren Momente, mehr noch als [..] Besitzenteignung, sind schuld daran, wenn die [..] Mehrheit der Kolonistenbevölkerung, nicht [bl..] die ehemaligen Grossbauern dem jetzigen Regime [ablehnend?], ja feindlich gegenüberstehen.

Hierzu kam der Verfall des kulturellen Lebens, die Kneblung der religiösen Betätigung. Die ehemals blühende Schule wurde zur Sowjetschule umgewandelt oder geschlossen, die Bezahlung der Geistlichen eingestellt und darüber hinaus dem Pfarrer auch jede Möglichkeit genommen, für seine Amtstätigkeit Vergütungen oder Gebühren zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zu erheben. Während man einerseits die Trennung von Kirche und Staat durchführte, womit Geistlichkeit und Kolonisten durchaus einverstanden gewesen wären, machte man es ihnen andererseits unmöglich, Kirche und Pfarrer selbst zu unterhalten. Kinder unter 18 Jahren wurde die Erteilung des Religionsunterrichts gänzlich verboten, ebenso der Unterricht der Kinder im Hause. Die alte Dorflehrerschaft hat sich den neuen Bestimmungen nicht fügen können und ihre Tätigkeit aufgegeben, die in die Dörfer entsandten Sowjetlehrer werden von den Bauern abgelehnt. Ein Bild über die Stimmung in den Lehrerkreisen gibt folgende in der hier erscheinenden deutsch-kommunistischen Zeitung abgedruckte Antwort eines Lehrers auf die Aufforderung der hiesigen Kommunisten, die bisherige passive Haltung aufzugeben:

„In Nummer 14 dieser Zeitung fordert ein Anonymer in dem Artikel „das alte Liedchen ist gesungen“ die Lehrerschaft auf, sich von alten Klage- und Tränenlied loszureissen und neuen Gesang anzustimmen. Er gräbt nach den Motiven der Fahnenflucht der Lehrer und betont einerseits die Grobheit und Undankbarkeit des Bauern – andererseits das zögernde Miteinstimmen eines grossen Teiles der Lehrerschaft ins „Neue Lied“.

An Grobheit und Undankbarkeit des Bauern sind wir Lehrer schon längst gewohnt, […] den das sogar in seinem Charakter begrüßt [..] denn wir kennen die schwielenharte Arbeit und wollen dieselbe nicht mit feinen Gl[…] schuhen bekleidet wissen. Warum die Lehrer[die]se bis dato nicht aus vollem Halse mitsi[ngen] kann und fahnenflüchtig zu werden droht, [..] die folgenden Aufschlüsse wohl genügend [..]den.

  1. Die materielle Lage.

Das Gehalt ist zu miserabel. Dem L[ehrer] fehlt die Möglichkeit, seine Familie da[mit zu] ernähren und zu kleiden. Auch früher konnte der Lehrer mit seiner Monatsgage kaum leben, jetzt noch weniger. Drei Monate lang musste er darauf warten, schliesslich werden ihm [..]weise 5 bis 10 Rubel Avance hingeworfen […] die längst vergangenen Monate. (Wo bleibt [..] Lenins Aufforderung: Hauptsächlich und [..]sächlich und hauptsächlich ist die materielle Lage des Lehrers zu heben?!)

Die Stadtlehrer aber bekommen zwei [bis] dreimal mehr regelmässig ausbezahlt. Un[…] Leben im Dorf ist nicht billiger als in der Stadt. Die können schon mitsingen.

  1. Hemmung der individuellen, wie [..] kollektiven Arbeit der

Jeder mappentragende Angestellte [..] sich berechtigt, wenn er auch von Schul[..] Dunst hat, hineingreifen zu dürfen. Vom [..] angefangen aufwärts will ein jeder dem [..] nur befehlen. Einzig die Inspektur schre[..] gelinde vor – und zwar nur in letzter […] Erst vor zirka vier Monaten wurde bei [un..] Lehrer als Inspektor angestellt.

In unserem Rayon arbeitet nur ein Drittel der vorkriegszeitlichen Lehrer: nämlich in allen Kolonien 14 Lehrer, während früher daselbst 36 Lehrer angestellt waren. In Kutschurgen würden sich noch an 12 – 15 Lehrer vorfinden, darunter die meisten mit langjähriger Praxis. Zu Beginn des Schuljahres 1923 – 24 wurden aber einige entfernt und viele der jetzt Arbeitslosen nicht zugelassen, trotzdem man mancherorts gesonnen war, auf Gemeindekosten Lehrer anzustellen. Dies wären also vorläufig Gründe genug für die Lehrerschaft, um nicht vollauf mitzusingen.

Es ist unter den Umständen begreiflich, wenn die Auswanderungsbestrebungen gerade unter den wertvollsten Elementen der Kolonistenbevölkerung in den letzten Monaten an Intensität stark zunahmen. Die Auswanderungslust hat nicht nur die Mennoniten erfasst, wenn sie auch unter ihnen als dem fortgeschrittensten Teil, besonders stark ist, auch aus dem Gros der Kolonistenbevölkerung sind gerade in den letzten Monaten Auswanderungsabsichten laut geworden. Die daraus der ukrainischen Landwirtschaft erwachsende Gefahr im Zusammenhang mit der von der Sowjetregierung unbedingt anerkannten Notwendigkeit der Hebung der landwirtschaftlichen Kultur zwecks Vermeidung der Folgen, die gerade weiter in diesem Jahre durch die teilweise Missernte mit ergeben haben, hat in den leitenden Regierungskreisen anscheinend einen Umschwung in der Haltung gegenüber den deutschen Kolonisten herbeigeführt. Die Ausführungen der Komission, die zu den Studien der Mennoniten [.. ]hältnisse entsandt worden war, haben sich ber[eits] zu einem Gesetz verdichtet, das bereits von [W..] bestätigt und demnächst zur Veröffentlichung [..] soll. Danach soll jeder Kolonistenhof, nicht [.] bloß die Mennoniten, der im Rahmen der Dorfsi[edlung] liegt, das Recht auf mindestens 32 Dessjatinen und darauf noch Hinpachtung von Land, soweit Land im Besitz des Dorfes ist, haben. Als Bed[ingung] ist dabei die Verpflichtung [vorzu…] landwirtschaftliche [H..] kultur zu treiben. Nach den letzten [..]richten hat das Volkskommissariat für Landwirtschaft bereits ein Zirkular entsandt, das in den Gouvernements Ekaterinsolaw, Odessa und Donetz den so[..]gen Beginn der Landeinteilung in den Kolonistendörfern anordnet. Die wichtigsten Bestimmungen des Zirkulars lauten:

  1. Einstellung jedweder Enteignung von L[and] den deutschen Kolonien auf Grund etwa vor[..]nen überschüssigen Landes [….russisch] auch dann, wenn dies auf Grund eines Besitzes der Rayonslandgerichtskommission dur[chgeführt] werden sollte, wenn auf Grund dieses [Be]schlusses jede Norm des zur Benützung [..]senen Landes verringert wird, welche sein[er]zeit für die deutschen Wirtschaften von d[..] Gouvernements-Vollzugsausschüssen (16 bis [..] Dessjatinen) festgelegt wurde.
  2. Es ist ein Ergänzungs-Arbeitsplan zur [..] führung der Landeinteilungsarbeiten in den deutschen und mennonitischen Kolonien aufzu[stellen]. Die Durchführung dieser Arbeiten mus[s] in diesem Herbste geschehen, wenn dies zu [..] Plane für 1924 nicht vorgesehen war.
  3. Den deutschen Landwirten ist diejenige [..]nor] Landnorm abzulassen, die seinerzeit von den Gouvernements-Vollzugsausschüssen für dieselben vorgesehen wurden. (Es handelt sich um die 16 bis 32 Dessjatinen). Dabei muss das überschüssige Land als Reservefond der deutschen Landgemeinde bleiben zwecks Pachtung auf Grund der Bestimmung des Volkskommissariats für Landwirtschaft vom 3.September 1923. Ausserdem werden noch zugeteilt: 20% Zuschlagsfläche für Viehweide zwecks Züchtung von Rassenvieh, wenn dieses Land früher der deutschen Kolonie gehörte, aber dem Staatsfond übergeben wurde und gegenwärtig unbesetzt ist; 1 % zwecks Anpflanzung eines Waldes aus dem unbrauchbaren Lande; ist solches nicht vorhanden, dann auch vom brauchbaren aus dem Staatsfond, im Verhältnisse zur Landfläche, welche den Kolonisten zugesprochen wurde.
  4. Die Gouvernements sollen so rasch als möglich die Flächengrösse des benötigten Landfonds, ebenso den Ort, wo es wünschenswert wäre, die Ansiedlung durchzuführen, bekannt geben. Dabei ist auch dieses Land anzugeben, welches in den Staatsfonds übergeben wurde. Die Eingaben sind nicht später als bis 15.August einzusenden.
  5. Bis zur Durchführung der Landeinteilung, ebenso bis zur Ausscheidung eines speziellen Landfonds zwecks Uebersiedlung der deutschen Kolonisten, muss jedes Abschneiden von Land in den Kolonien, sowie Abgabe von neuen Landteilen, die zu Kolonien gehörten, eingestellt werden. Eine Ausnahme bilden nur diese Landteile, welche schon den Duchoboren[1] zugesprochen wurden und deren Uebersiedlung man im Herbste erwartet.

Zum Schlusse wird auf den Ernst und die Dringlichkeit dieser Arbeit hingewiesen und den Landbehörden aufgetragen, alles Mass[nahmen] zu treffen, um diese so rasch als möglich [aus]zuführen.

Es ist naturgemäss damit zu rechnen, dass [die] Durchführung des Gesetzes in der Provinz auf [?] Schwierigkeiten stossen wird. Die Widerstände sich bereits bei Organisierung selbstständig deutscher Verwaltungskreise mit aller Schärfe zeigt. In der Frage der Sicherung der Rechte [..] nationalen Minderheiten, die von der Sowjetre[gierung] gern zu Propagandazwecken benutzt wird, muss [aller]dings die in der deutschen Presse des öfteren [wie]dergegebene Ansicht korrigiert werden, als ob sich hierbei tatsächlich um weitgehende Gewähl[..] Nationalen Selbstbestimmungsrechts handelte. [..] Einrichtung deutscher Verwaltungsrayons ist f[..] Sowjetregierung nur ein Mittel, um die bisher missglückte Bolschewisierung der deutschen Be[völke]rung tatkräftiger durchführen zu können. Die [..] gebenden Stellen der Verwaltung, des Gerichts[..] Genossenschaftswesens werden von aus Deutschland[..] geflüchteten sachlich wie persönlich äusserst [..] wertigen kommunistischen Elementen besetzt, d[ie] ihrer bisherigen Tätigkeit gezeigt haben, dass für die deutsche Kultur der hiesigen Kolonisten das geringste Verständnis besitzen und von d[iese] selbst entschieden abgelehnt werden. Ein ange[sehener] Kolonist bezeichnete im Gespräch mit mir dies[e an]geblich entgegenkommenden Massnahmen der Sowjetregierung als ein Ausnahmegesetz gegen die Kolo[..] Was vielleicht übertrieben ist, aber die Stimm[ung] Der Kolonistenkreise treffend wiedergibt. Es [bedarf] schliesslich keiner besonderen Erklärung, das [.. ] Entgegenkommen in sprachlicher Hinsicht noch [aller]lei kulturelle Selbstständigkeit bedeutet und von einem Regime, das die Daseinsberechtigung des in sich geschlossenen Nationalstaates negiert und dessen Wesen im kommunistisch-internationalen Prinzip wurzelt, anders bewertet werden muss als innerhalb eines auf nationalen Grundlagen aufgebauten Staatswesens.

Wenn ich die gegenwärtige politische Einstellung der Kolonisten, ihre Wünsche Ziele kurz zusammenfassen darf, so ergibt sich Folgendes: bei unbedingten Festhalten an der von ihren Vätern übernommenen deutschen Kultur und Sprache, an ihrer tiefen religiösen Ueberzeugung als an einem Selbstverständlichen ist doch die grosse Mehrheit heut in erster Linie an ihren wirtschaftlichen Wiederaufstieg interessiert. Sie sind an sich nicht prinzipielle, unversöhnliche Gegner des Sowjetregims, aber sie fordern wie ihre Vorfahren, die zum Teil um dieser Ideale willen die Heimat verlassen haben, für sich das Recht zur ungestörten Entwicklung ihrer Kräfte, in wirtschaftlicher Hinsicht für die Tüchtigen und Arbeitsamen die Möglichkeit, sich hoch zu arbeiten und das Errungene zu behalten, in kultureller Hinsicht die Pflege ihrer alten Kultur und die Möglichkeit, in Schule und Haus diese Kultur auf ihre Kinder zu vererben, in religiöser Hinsicht die freie Ausübung ihrer religiösen Pflichten und die Aufrechterhaltung ihrer Kirche. Sie sind Anhänger eines freien demokratisch verwalteten Staates, indem sie für die Achtung vor ihrer Sonderart bereit sind, ihren staatsbürgerlichen Pflichten als loyale Bürger nachzukommen.

Die Frage, wie weit das deutsche Mutterland heut in der Lage ist, sich für die Aufrechterhaltung dieser bedeutenden deutschen Kulturinseln einzusetzen, dürfte nach 2 Richtungen hin betrachtet werden: angesichts der gegenwärtigen überwiegenden wirtschaftlichen Einstellung der Kolonistenbevölkerung ist die beste Kulturpolitik zweifellos die, [..] mit möglichst zahlreichen wirtschaftlichen [..] an deutsche Unternehmungen, deutsche Firmen, über[..]haupt an die Wirtschaft des Mutterlandes zu [..] um ihnen dadurch bei ihrem wirtschaftlichen Wiederaufstieg tatkräftig zu helfen. Die Möglichkeiten dafür sind zahlreich. Der erste Anfang für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit ist in diesen[…] durch die Gründung der von dem hiesigen Reich[..] gehörigen Herrn Resch begründeten „Rohstoffs..-Aktiengesellschaft“ geschaffen, die unter anderen auch die Ausfuhr aller Art von Abfallprodukten der Landwirtschaft, wie Schweineborsten, Federn, [..]chen, Haare und Ähnliches bewerkstelligen und in einzelnen Kolonistendörfern besonders Sa[..]len errichten wird. Bei der zweifellos später mal kommenden Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in diesem Lande wird es dann ein Leichtes sein, die bereits bestehende Organisation [..] für den Export von Getreide und Vieh und für den [..] Import der dem Kolonisten notwendigen Massens[..] zu erweitern. Die Heranziehung der Kolonisten einer etwa zu gründenden Deutschen Bank würde ei[n wie]terer Schritt auf diesem Wege sein. Ich darf [..] diese Frage auf den gleichzeitig abgehenden [..] (K.Nr.199) über die Resch´sche Gründung gehor[..] verweisen.

Darüber hinaus wäre es natürlich höchst [er] wünscht, wenn Deutschland durch vertragliche [Ver]einbarungen für sich das Recht in Anspruch nehmen würde, über die Wahrung der kulturellen Eigen[..] der in Russland lebenden zahlreichen Kolonist[en] wachen, ähnlich wie es die Sowjetregierun in Rigaer Vertrag mit Polen für die ostgalizische und ukrainische Bevölkerung beansprucht und vereinbart hat. Der Einwand, dass diese Selbstständigkeit durch die gegenwärtig bestehende sowjetrussische Gesetzgebung bereits gewahrt sei, ist nach den bisherigen Erfahrung hinfällig.

I.V.

UNTERSCHRIFT

 

[1] Die Duchoborzen (auch Duchoboren, russisch Духоборы oder Духоборцы, „Geisteskämpfer“) sind eine aus Russland stammende, von der russisch-orthodoxen Kirche abweichende christliche Religionsgemeinschaft.


Quelle: Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Martin-Opitz-Bibliothek - [abgerufen am 20.10.2021] Link zum Dokument - Elektronische Reproduktion von: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (Berlin)

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