Auszug aus dem Buch "Schönfeld. Werde- und Opfergang einer deutscher Siedlung in der Ukraine. Töws, Gerhard. Winnipeg. 1939"

 

Aus der Zeitung "Der Bote" vom 28 Dezember 1965 S. 9.

 

Kopie von Zeitung "Der Bote" vom 28 Dezember 1965 S. 9.

 

 

„Vater war Lehrer an der Dorfschule. Wie oft wurde der Unterricht gestört von den Banditen. Nach solchen Unterbrechungen war Vater gewöhnlich für den Tag verbraucht. Ich half ihm soviel ich konnte. Die Erregung war so gross, dass man kaum das Notwendigste verrichten konnte. In der Kirche sammelten wir uns oft und es war eine wirkliche Gemeinschaft der Kinder Gottes. An der Fortbildungsschule unterrichteten die Lehrer: Gerhard Schröder, Jakob Thiessen, N. Neufeld und Frl. Fröse. Die einzelnen Klassen wurden in Privathäuser verlegt. Es waren ja auch nur 18 Schüler. Reges Leben herrschte nur im Stab des Batko Prawda. Täglich wurde frisch geschlachtet. Die beiden Schwestern Sara und Anna Klein mussten für die Banditen kochen. Deutsches Essen sollte es sein: Klops und Kuchen, dazu Schinken und gründlich Butter drauf. Der Anna Klein richtete der Batko die Hochzeit aus, welche aber besonders für unsere Familie furchtbar enden sollte. Auf Betreiben des Banditen Naumenko liess Prawda meinen Bruder Gerhard verhaften, mitten in der Hochzeitsrede meines Vaters. Sie nahmen den Bruder mit nach Saliwnoje. Mein Bruder war gefasst. Wir sahen ihn lebend nicht mehr wieder. Unter den Säbelhieben der Ruchlosen musste er sterben. Ehe er uns verliess, sagte er: ,Nein, ich fürchte mich nicht. Ich habe den Herrn.’

Diejenigen, die der ersten Willkür der Banditen in dem Winter 1918/19 nicht ausgesetzt gewesen sind, können keine wirkliche Vorstellung von den Marterstunden der Deutschen des Kreises Alexan-drowsk haben. Haben die Roten nach dem Fall des Mo-lotschnaer Selbstschutzes auch in der Mutterkolonie arg gewütet, so war dieses doch nicht die tierhafte Willkür, die sich im Machnobereich austobte und der die Deutschen und selbständigen Russen wehrlos in die Hände gegeben waren.

K. Peters gibt folgendes chronologisch geordnete Verzeichnis der Opfer von Schönfeld und Umgebung aus dieser Zeit:

1918, 25. Januar, Solonaja, ermordet: Aron Thiessen, Heinrich Thiessen, Gerhard Thiessen, Peter Thiessen und Anna Thiessen (Tochter von Abr. Thiessen).

1918, 19. August, Roppowo: Gerhard F. Balzer, Frau Bal-zer und Tochter Helena (Frau David J. Mathies).

1918, 25. August: Gerhard Neufeld, Dobrischino, u. Frau; Jakob Warkentin und Frau, Bitschok.

8. September 1918: Witwe Jakob Goossen von Dobrischino und David Korn. Löwen von Muntau, unterwegs umgebracht.

9. September 1918: Frau Thomas Wiens und Sohn in
Schröder und Verwalter H. H. Bergen, Reinhof. Den 31. Oktober Gerhard K. Epp, Rosenhot, und nachher Abr. Epp.

8. November 1918: Hermann G. Peters, Gerhard G. und Peter G. Schröder, Kornelius Klassen, Jakob Aron Matthies und David J. Warkentin.

21. November 1918: Gerhard G. Schröder und Sohn Wilhelm, Kowalicha.

2. Dezember 1918: Peter P. Peters, Brasol.

12. Dezember 1918: Eduard Hein und Frau Hein in Jekate-rinoslaw ermordet, wohin sie von ihrem Gut bei der Station Gaitschur geflüchtet.

17. Dezember 1918: Jakob Joh. Enns und Paul P. Rogal-sky, Kowalicha.

12. Dezember 1918: Jakob Janzen, dessen Sohn Jakob und Schwiegersohn Johann Friesen, Blumenheim, Pet. Regehr und Joh. Neustädter.

12. Januar 1919: In Nr. 4 der Kankrinansiedlung: Munch, Rieter Zieberts, Kapp ermordet. Während der Beerdigung dieser 4 Opfer noch 10 Mann ermordet.

12. Januar 1919: In Nr. 6 der Kankrinansiedlung: Munch, Reiter, verhaftet und nicht mehr wiedergesehen.

24. Januar 1919: Abram D. Schönhof.

26. Januar 1919: Gerhard G. Dörksen

7. Februar 1919: Peter J. Cornies, Wiesenhof.

10. Februar 1919: Wolodja Thiessen, Bernhard und Gerhard Fast von Roppowo in Pokrowsk ermordet. Als diese Opfer zur Hinrichtung geführt wurden, sangen sie das Lied: „Näher, mein Gott, zu Dir.”

16. Februar 1919: Peter B. Fast und Frau Fast, die Eltern oben erwähnter Brüder Fast, in Pokowsk ermordet.

8. April 1919: Johann H. Wiens, Kowalicha.

1. Mai 1919: Jakob Isaak Dyck, Wiesenfeld.

8. Mai 1919: Jakob J. Heidebrecht und die deutsche Köchin, Wiesenheim.

28. November 1918: Witwe J. Berg, Schönbrunn.

Oktober 1918: David Schröder, Shaharowo. Schröder war von seinem Gut nach Fürstenau geflüchtet, wollte aber nochmals zurückfahren, wurde auf seinem Gut von der Machnobande überrascht und ermordet.

19. März 1919: Frau Jakob Bergen, Eichental.

Während dieses Winters hatte Nestor Machno seinen Sitz in dem Dorfe Gulaj-Pole. Von hier aus unternahm er die Vorstöße gegen die großen Kolonien des Taurischen Gouvernements. Der organisierte Selbstschutz der drei verbündeten deutschen Wolosten Prischib, Halbstadt und Gnadenfeld stellte sich ihm entgegen und hielt die Banden solange ab, bis die Hauptmacht der Roten vom Norden herankam. Die große Bahnstation Pologi war lange Zeit von Machno besetzt und mancher Deutsche ist dort aus ...

... kommen. Im Schreckensgebiet war jeder Deutsche schutzlos, ob zu Hause oder auf dem Wege. Zügelloses Rauben und Plündern war an der Tagesordnung. Kein deutsches Gut, kein deutsches Dorf wurde verschont. Von Blumenfeld heißt es: — Als Blumenfeld 1919 räumen mußte, hatte das Eigentum der Bauern, die bis dann 3000 Desjatinen bewirtschaftet hatten, auf 20 Wagen Platz. Blumenfeld blieb vor Morden verschont. Nur als die Bewohner nach der Molotsch-naja geflüchtet waren, wurden Johann Kliewer und Johann Janzen, die zum Schulzenamt Blumenfeld gehörten, nach Pologi geholt und dort von den Banditen ermordet

Ein Vorstoss des Molotsch-naer Selbstschutzes brachte den Blumenfeldern die Gelegenheit, in die Mutterkolonien zu flüchten. Dieses geschah in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1919 Es war eine wilde Nacht für das deutsche Dorf Blumenfeld. Schon am Tage war plötzlich erzählt worden, daß der Selbstschutz das große Russendorf Klein- Tokmak besetzt halte. Natürlich wußte in dieser Zeit der seltsamsten und widersprechendsten Gerüchte niemand, woher das Gerücht kam und was daran Wahrheit war. Dazu kamen Banditen ins Dorf, die eine hohe Kontribution auflegten, welche bis zum

20. früh morgens gezahlt werden sollte.

Nachts kam dann in das Bangen und Hoffen der Deutschen eine berittene Abteilung des Selbstschutzes, die Quartier für weitere Abteilungen des Selbstschutzes machen wollte. Später kam es anders Der Selbstschutz mußte zurück. In einer ganz kurzen Zeit mußten die Blumenfelder
auf packen und konnten dann in Begleitung der Selbstschütz-ler die Heimat fluchtartig verlassen. Sie mußten den entfesselten Gewalten der Anarchie weichen, Haus und Hof der Willkür der Banditen überlassen. Wo deutscher Bauernfleiß sich in harter Arbeit, in Selbstverleugnung und Sparsamkeit ein Heim gebaut, da Schmarotzte nun die durch den internationalen Marxismus über Rußland entfesselte Anarchie. So ging die Schönfelder Wolost in ihrem ganzen Bestand den Opfergang des Winters 1918/19. Viele hatten ihre Heimat verlassen, waren in die Dörfer der Mutterkolonie geflüchtet. Hier hatten sie zuerst verhältnismäßig ruhige Tage unter der Deckung des Selbstschutzes, nur besorgt um das Schicksal der übrigen Schönfelder, der Verwandten. Nachbarn und Bekannten. Später, als der Selbstschutz weichen mußte, kam auch hier die Not, die Angst um Entdeckung durch die Banditen. Diejenigen aber, die zu Hause geblieben waren, kamen aus der Gefahr nicht heraus: vom Herbst 1917 bis zum Frühsommer 1919. Und als der
ges Bauernleben geherrscht, da traf er manchen nicht mehr an. der noch ein Jahr vorher mutig und froh in die Welt geschaut. Mütterchen Rußland hatte sich als unfähig erwiesen und nun ging das Gericht über die weiten Steppen. Viele neue Grabhügel waren während des Winters erwachsen in der Schönfelder Wolost. Nicht jedem war jedoch das Vorrecht beschieden, in heimischer Erde begraben zu werden. Mancher konnte nicht mehr gefunden werden. Nikolai R. Wiens fiel i n der Schlacht bei P o 1 o g i. Mein Bruder Aron kam durch Verrat mobilisierter russischer Soldaten in die Gefangenschaft zu den Roten. Hier wurde er mit seinem Freunde Voth schrecklich mißhandelt. Als sie nun die Militärinformationen, die von ihnen verlangt wurden, nicht verraten wollten oder konnten (weil sie selbige gar nicht wussten), wurden sie erschossen. Mitleidige russische Bauern begruben die beiden auf dem Friedhof des Dorfes Kirilowka. Dieses geschah im FebrUar 1919.

Schönfelds Ende

Die Roten, mit Machno verbündet, trieben die „Freiwillige Armee” des Generals Denikin immer weiter zurück. In der Krim blieb nur die Halbinsel Kertsch in den Händen der Weißen. Im Osten stand die Front bei Taganrog. Die Horden Machnos waren aber nicht nach dem Willen Trotzkis, denn die roten Machthaber aus Moskau wollten keine anderen Götter neben sich dulden. Machno aber wollte sein Regiment nicht aufgeben. So kam es zum Zwiespalt zwischen Roten und Anarchisten. Die neuorganisierten Weißen gingen zur Offensive vor und die rote und schwarze Flut ebbte nordwärts zurück. Auch den Deutschen der Schönfelder Wolost schlug wieder eine Atempause. Die Kosaken trieben die Anarchisten zum Teil aus dem Lande. Ein anderer Teil versteckte sich in den großen Russendörfern.

Der deutsche Bauer konnte noch einmal mähen und dreschen. Doch die Heimat war allen verleidet. Es war des Grausamen zuviel gewesen. Man wollte fort. Ein jeder sah sich nach Wohnungsgelegenheit in den Mutterkolonien um. Das Vorgehen der Deni-kinischen Armee brachte wohl zeitweilige Erlösung, doch keine Hoffnung auf bleibende Besserung der Verhältnisse. Die notwendigen Reformen blieben aus. Der russische Bauer, der durch passende Gesetze leicht zu gewinnen gewesen wäre, wurde enttäuscht. Ob Weiße oder Rote oder Schwarze: der Bauer mußte hinhalten. Deshalb stellte er sich passiv den
Bei dem rücksichtslosen Vordrang nach Moskau hin ließ Denikin das Hinterland seiner Front unberücksichtigt. Nun sah Machno seine Zeit für gekommen. Er durchbrach die weiße Front bei Umanj nach einem mörderischen Kampfe und seine Horden ergossen sich wieder über die Gouver-nemente Jekaterinoslaw und Taurien.

Der letzte Schulze des Schönfelder Schulzenmates, K. J. Fast, berichtet aus dem Sommer und Herbst 1919:

„Am 19. August 1919 hielten wir das letzte Schultenbott. Mehrere Besitzer wollten am nächsten Tage nach Scherebetz (Russendorf) fahren und von dort während der Mach-nozeit gestohlene Pferde zurückholen. Unser Abreden wollte nicht helfen. Andere redeten zu. So fuhren sie am nächsten Tage in aller Frühe. In Scherebetz ereilte sie ein furchtbares Schicksal. Peter G. Neufeld und Heinrich Wilhelm Schröder wurden im Dorfe erschossen. Johann und Gerhard Pankratz flüchteten und wollten sich in einem Maisfeld verstecken, wurden aber gefunden und daselbst erschossen. Als man sie dann nach drei Tagen nach Johannesheim brachte, waren sie fast nicht mehr zu erkennen.

Am 2. September wurde Jakob Thießen ermordet.

Am 23. September waren Nikolai Thießens, Sikorskaja. auf dem Wege nach der Molo tschnaja. Eine Räuberbande überfiel sie und die alten Leute wurden beide zu Tode gequält. Frau Thießen ließ man in ihrem Blute, aber noch lebend, neben dem toten Gatten liegen. Sie lebte noch 24 Stunden, dann wurde sie von vorbeireitenden Banditen ganz getötet. Die Schwiegertochter, die auch auf dem Wagen war, sollte auch erschossen werden, doch als sie bat, man möchte dann auch das Kind töten, ließ man sie leben.

Am 20. Oktober, als wir schon fast alle Schönfeld verlassen hatten, rüsteten auch. Gerhard J. Wiens und Heinrich G. Schröder zum Aufbruch nach der Molo tschnaja. Sie waren bei Aron Rempels, Schönfeld, auf dem Hof. Vor der Abfahrt sprengten mehrere Reiter auf den Hof. Man erschoss beide und sie wurden später zusammen in ein Grab gelegt . . ”

Trotz der großen Gefahr war es den Schönfeldem nicht leicht, die Heimat ganz aufzugeben. Prediger Johann Friesen, Glenlea, Man., früher Schönfeld, schreibt darüber:

„Die Überfälle mehrten sich und machten das Bleiben auf Schönfeld für uns unmöglich. Es galt nun, den Entschluss zu fassen, die liebe Heimat zu verlassen. Doch wohin gehen? Die meisten gingen in die Halbstädter und Gnadenfelder ...

   
Zuletzt geändert am 28 Februar, 2019