Brief von Aron und Aganetha Warkentin, Sorotschinskaja, bei Neu Samara, in der "Mennonitische Rundschau" vom 4. Juli 1906, Seite 5 und 10

 

Abgeschrieben von Lydia Friesen (geb. Esau) (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 4. Juli 1906, Seite 5 und 10. Mit Bericht über Sorotschinskaja, bei Neu Samara. (gotisch) von Andreas Tissen.

 

 

Sorotschinskaja, Samara. Da ich schon viele Jahre ein Leser der werten "Rundschau" bin und nun in letzter Zeit mit dem lieben Editor Fast - ohne gesehen - bekannt geworden und aufgefordert wurde, etwas für die "Rundschau" zu schreiben, will ich´s einmal versuchen; doch, lieber Leser, Du mußt Dich schon auf etwas ganz Unvollkommenes gefaßt machen, denn etwas Gediegenes zu schreiben, dazu ist meine Feder durchaus nicht eingerichtet! Zunächst komme natürlich auf uns selbst zu sprechen und berichte hiermit, daß wir schon fünf Jahre an diesem Orte wohnen und obzwar unser Sorotschinskaja nur ein großes Russendorf ist, so muß ich doch sagen, daß hier ein größeres Handel stattfindet, als in mancher kleinen Stadt. Hier werden bedeutende Getreideumsätze gemacht, auch ist der Viehhandel gut entwickelt, dabei alle Montage großer Basar, als wenn Markt ist. Man nimmt an, (welches auch wohl so sein wird), daß zu Entwickelung des hiesigen Handels unsere deutschen Ansiedler sehr viel beigetragen haben, denn vor 12 Jahren soll es hier nur recht kümmerlich gewesen sein, während gegenwärtig z. B. zehn Maschinenhandel da sind und dem ähnlich ist auch alles andere vertreten. Auch wir beschäftigen uns mit Maschinenhandel und den dazu passenden Nebenbeschäftigungen; doch in letzter Zeit ist dieses Geschäft durchaus nicht beneidenswert; schon im vorigen Jahre war die Ernte hier ind Umgegend auch auf der deutschen Ansiedlung, welche von hier etwa 45 bis 50 Werst entfernt ist, unter mittelmäßig, stellenweise  sogar sehr schwach und heute scheint es wieder nichts aufs Beste, denn wir haben das ganze Frühjahr, bis Pfingsten keinen Regen gehabt. Den Tag vor Pfingsten kam somehr der erste Regen und nun hat es die Feiertage wohl hin und wieder geregnet, aber nach menschlicher Ansicht immer noch zu wenig, doch Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Hier, die samarische Ansiedlung, hat sich, trotz verschiedenen Schicksalsschlägen, schon recht sehr verbessert: z. B. hat Herr Johann Wall die zweite Wassermühle bald fertig, deren Einrichtung sich wohl jeder erstklassigen Dampfmühle gleichstellen dürfte und könnte selbige zukünftig für die Ansiedler sehr passend sein daselbst ihren Weizen abzusetzen. Außerdem sind schon drei kleine Dampfmühlen mit Neffta=Motorbetrieb in Thätigkeit und besonders vorteilhaft ist für die Ansiedlung auch das in Pleschanowsk neu eingerichtete Postkontor und wer nun von dort Briefwechsel nötig hat, kann folgende Adresse benutzen:
Wie in materieller, so sind auch in geistiger Beziehung recht erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen, obzwar bei manchem noch zu wünschen bleibt; doch ist es schon sehr vorteilhaft, daß die Wirtschaften im Preise bedeudend gestiegen sind, weshalb im verflossenen Winter recht viele Wirtschaften verkauft wurden. Viele von den Verkäufern sind nach Sibirien in der Umgegend von Omsk gezogen, haben daselbst Land gekauft oder gepachtet, je nach Verhältnis und Vermögen.
Von besonders wichtigen Ereignissen auf der Ansiedlung kann ich nicht berichten; will daher noch im Geiste hinüber kommen nach Amerika und da etwas Umschau halten. Möchte gerne erfahren, ob mein Onkel Heinrich Warkentin, seiner Zeit von Puchtin nach Amerika gegangen, noch lebt; so viel ich weiß, soll er in Kansas ansässig gewesen sein. Von seinen Kindern sind, so viel mir bewußt, Gerhard Schellenbergs, Abr. Ensen, Heinrich Warkentins, N. Edigers; letztere besuchten uns, als wir in Fischau in der Schule waren; haben aber später nichts von ihnen erfahren. Zunächst die besten Grüße an Euch alle, mit der freundlichen Bitte, uns von Eurem Befinden zu berichten. Dann hat meine Frau dort zwei leibliche Schwestern, eine Witwe Peter Friesen, welche lange krank gelegen; warscheinlich im Canadischen, vielleicht Steinbach? Dann sind Peter Rempels, welche im vorigen Jahre dorthin gezogen, weiß aber nicht, wo sie da zu finden sind.
Komme auch noch zu Abr. Richerts, Oklahoma, und Heinrich Rempels, Steinbach, deren Frauen meiner Frau Cousinen sind. Deine Aufsätze lieber Schwager Heinrich Rempel, lesen wir gewöhnlich zuerst, wenn wir die "Rundschau" durchsehen würde Dich sehr bitten, uns zu berichten, was Ihr da alle macht und besonders wo sich Peter Rempels mit ihren Kindern aufhalten. Wir sind in unserer Familie noch so lange, Gott sei Dank, gesund und haben noch drei von den Kindern bei uns, als: Liese, Anna, und Aron; Aganetha und Susanna sind verheiratet, es geht ihnen und auch uns in materieller Beziehung ganz gut; doch ich und meine Frau werden uns bald auch zu den Alten zählen, sind aber noch rüstig und dabei beide gut gestellt.
Um nicht langweilig zu werden, will ich noch kurz berichten, daß es in unserem Vaterlande noch immer nicht Friede werden will und Gott allein weiß, was uns die nächste Zukunft bringen wird, so lange sind wir noch beschützt worden, aber - aber, beten - sehr beten thut not, denn es könnte auch unserem Vaterlande gelten: "Es sind noch vierzig Tage, dann wird Ninive untergehen."
Oft erinnern wir uns noch der hier vor zwei Jahren nach Amerika gezogenen Lieben, als Wilhelm Ewerts von Kaltan und Heinrich Wedels von Klinok; so viel ich weiß, sind beide in Oklahoma. Ihr habt damals versprochen zu schreiben, d. h. auch an uns, ist aber bis heute noch nicht geworden; würden uns sehr freuen, auch von Euch ein Lebens- und Liebeszeichen zu erhalten. Von Kaltan sind auch mehrere nach Omsk gegangen, als: alte Pletten mit Familie und Ratzlaffs, von Klinok, Peter Dücken, auch Peter Unruhs; letzterer hat seine Wirtschaft zu 3600 Rbl. verkauft und bekommt dann noch die Hälfte vom reinen Getreide der diesjährigen Ernte. - Gestern hat´s noch sehr schön geregnet und infolgedessen ist die Natur heute wie neubelebt; fühlen uns auch recht dankbar für solche Wohltat und wünschen von ganzem Herzen, daß der Geber aller guten gaben auch ferner seine Hand nicht zurückziehe! In solcher Hoffnung bleiben wir mit herzlichen Grüßen an alle, die ich hier namhaft gemacht, auch der liebe Editor nicht ausgeschlossen, Eure verbundene Ar. u. Ag. Warkentin.

 

 

Bemerkungen von Lydia Friesen (Esau):

Aron Warkentin (15.10.1850, Fischau, Molotschna - 4.11.1911, Sorotschinsk, bei Samara) (#741813)
Aganetha Jakob Bergmann (27.03.1852 - 5.11.1922, Donskoje, Neu Samara) (#1022126)
Aron Warkentin war 7 Jahre in Waldheim und 10 Jahre in Fischau als Lehrer tätig.

 

Onkel Heinrich Warkentin, seiner Zeit von Puchtin nach Amerika gegangen, noch lebt:

Heinrich Gerhard Warkentin (24.04.1824, Tiegenhagen, Molotschna - 22.05.1910, Inman, Kansas) (#26589).

 

Dann hat meine Frau dort zwei leibliche Schwestern, eine Witwe Peter Friesen... Dann sind Peter Rempels:

Elisabeth Jakob Barkman (21.11.1841 - 15.09.1917) (#3675)
Peter Abraham Friesen (3.02.1838 - 27.01.1900, Blumenort, Manitoba, Canada) (#3674)

Gertrude Jakob Bergman (26.04.1846, Waldheim, Molotschna - 3.12.1923) (#126878)
Peter Peter Rempel (10.02.1844, Molotschna - 10.02.1915, Kansas ) (#5859).

 

Komme auch noch zu Abr. Richerts, Oklahoma, und Heinrich Rempels, Steinbach, deren Frauen meiner Frau Cousinen sind.

Elisabeth Christian Schlabach (19.07.1851, Waldheim, Molotschna - 24.04.1932, Corn, Oklahoma) (#5876)
Abraham Abraham Richert (24.02.1850, Waldheim, Molotschna - 11.12.1914, Corn, Oklahoma) (#26102)

Margaretha Christian Schlabach (25.04.1853, Waldheim, Molotschna - 10.01.1921, Manitoba) (#5872)
Heinrich Peter Rempel (4.06.1855, Paulsheim, Molotschna - 3.03.1926, Manitoba) (#5871).

 

Wilhelm Ewerts von Kaltan:

Wilhelm Frank Ewert (22.10.1867, Waldheim, Molotschna - 30.05.1945, Orland, California) (#113029)
Margaretha Abraham Enns (9.11.1869, Grünfeld, South Russia - 9.05.1950, Long Beach, California) (#113030).

   
Zuletzt geändert am 16 September, 2017