Brief von Jakob Janzen aus Aulie-Ata, Turkestan in der "Mennonitische Rundschau" Nr. 27 vom 4. Juli 1883

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 27 vom 4. Juli 1883, Seiten 1 und 2. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Aulieata, Turkestannskij, Krai
Kolonie Nikolaipol, 4 Mai.
Lieber Bruder Harms. Zum Gruß 3 Joh.B.2..... Nach dem Empfange der letzten Sendung (873 Rbl.S.) schickte ich Dir gleich eine Postkarte, solltest sie etwa nicht erhalten haben, so sei es hier wiederholt. (Habe sie nicht erhalten. Edr.) Zweitausend und achtundsechszig Rbl. sind nun, Gott sei es gedankt, durch deine Vermittlung glücklich  in unsere Hände gelangt. Es ist davon schon etwas zum Ankauf von Milchkühen verwendet und wird auch darnach gestrebt, noch mehr zu kaufen. Dieselben waren bis jetzt ziemlich theuer, bis 25 Rbl. per Stück, der Preis fällt aber schon etwas. Das arme Vieh ist bei unsern Nachbarn nur schlecht durch den Winter gekommen, weil es sich auch trotz Schnee und Eis das Futter meistens selbst suchen muß. Man hat von Dingen, die man durch Lesen oder vom Hörensagen meinte zu verstehen, doch oft noch recht schwache oder ganz falsche Begriffe. Die Lebensweise dieses Volkes ist wirklich eigenthümlich. Möchte manches erzählen, doch für diesmal muß ich mich wieder zu sehr beeilen, um nur mit dem Nöthigsten fertig zu werden. Du frägst (fragst – E.K.), ob wir Erlaubniß haben, unter diesen Kindern der Steppe Mission zu treiben, worauf ich erwidere, daß wir uns wohl keine ausdrückliche Erlaubniß erwirkt, doch ist uns in dieser Beziehung auch kein Verbot gegeben, und bin ich von vornherein immer darauf aus gewesen, diese Leute mit dem theuern Evangelium bekannt zu machen, nur muß die Sprache erst gelernt werden. Einige junge Leute machen im Erlernen der Sprache auch schon recht große Fortschritte, d.h. praktisch, theoretisch ganz wenig. Ich in meinem Theil bespreche mich mit ihnen auch schon über Manches, aber auf religiösem Gebiet bring ich noch so zu sagen nichts fertig. Habe erst kürzlich in Erfahrung bringen können, wie sie den lebendigen Gott nennen. Ich versuche hier und da mit dem von den Nogaiern mir in Erinnerung gebliebenen „Alah“ (Allah – E.K.) für „Gott“, doch das ist ihnen fremd; sie sagen „Kudai“ (a und i als Sammlaut, der Ton auf der letzten Silbe). „Kudai billed“ – Gott weiß es. Einer unserer Brüder, J.Bartsch, aus dem Samarischen hat im Dienste der Englischen Bibel-Gesellschaft in Taschkent ein biblisches Depot errichtet, wo die heilige Schrift in allen hiesigen Sprachen vertreten ist, und sowohl aus dem Depot als auch durch Kolportage (Vertieb von Büchern – E.K.) mit vollständiger Erlaubniß der Regierung stark verbreitet wird. (Das ist ja ganz herrlich. Gott segne dies Unternehmen. Edr.) Auch ist ein Bruder von Joh.B., nämlich Franz Bartsch, welcher bei einem als Kolporteur angestellt ist, sehr fähig, fremde Sprache zu erlernen, und bespricht sich mit den Eingeborenen beim Verkaufen der Bücher über religiöse Dinge schon recht eingehend.
Dein Rath: dem Reis Aufmerksamkeit zu schenken, wird insofern befolgt, daß wir ihn kaufen, schon seit wir in`s Turkestanische hereinkamen, weil er so billig ist, 3-5 Kop. @ lb (1 lb – 0,453 kg – E.K.) und nicht nur in Milch, sondern vielfach in Wasser zu einer breiigen Masse gekocht, und dann mit irgend einem Zusatz von etwas Fett, oder ein wenig Rosinen, wie es die Hausmütter eben zuwege bringen können, und ihn so öfter zum Mittags- oder Abendessen dienen lassen. Mit dem Gedanken jedoch, ihn anzubauen, sind wir noch so weit nicht ausgesöhnt. Das dazu zubereitete Feld, welches man in kleinere und größere Stückchen getheilt, je nachdem es mehr oder weniger eine schräg abdachende Lage hat, und jedes solche Stückchen mit einem wohl fußhohen Erdwall umgeben hat, ist vom Frühjahr an stets unter Wasser gehalten worden, so daß daselbst das Wasser auch nicht mehr so bald einzieht, zudem sucht man dazu schön flaches Land. So sät man denn Ende April oder Anfangs Mai den Reis in dieses tümpelartige Feld hinein, und egget es mit einer Art Egge ein, wobei Säemann, Fuhrmann und Ochse halb knietief im wässrigen Schlamm umher waten. Während des Wachsens hält man das Feld auch stets ganz wässerig, was eine sehr ungesunde Ausdünstung bewirkt.
(Unserer Ansicht nach kann man den Reisbau am besten den Einheimischen überlassen und sich dagegen besonders auf die Herstellung guter Butter und Käse legen, wofür ja in den Städten so lohnender  Absatz ist. Edr.)
Hier noch einige Antworten: Aulieata liegt im 43. Grad nördlicher Breite und im 90. Grad östlicher Länge, in gerader Linie von Taschkent in der Richtung von Westsüdwest nach Ostnordost etwa 315 Werst. Im Süden ist die chinesische Grenze ungefähr 315 Werst, im Osten 560 Werst entfernt. Die indische Grenze ist ungefähr 685 Werst von Aulieata.
Doch nun laß mich abbrechen. Sage Dir noch herzlichen Dank für die köstlichen Zusprüche und Wünsche. Dich und die lieben Leser der „Rundschau“ herzlich grüßend, verbleibe Euer in Jesu verbundener Bruder
Jakob Janzen.
N.B. Es gibt viel zu lernen; es scheint, wir haben die Saat zu tief untergepflügt.

Ders.
   
Zuletzt geändert am 10 Dezember, 2016