Brief von Jakob Mandtler sen. aus Wladimirowka, Turkestan in der Zeitung "Volksfreund" Nr. 6 (24) vom 14. Februar 1918

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Volksfreund" Nr. 6 (24) vom 14. Februar 1918 (gotisch)

 

Wladimirowka, Aulie – Ata, Turkestan, 15 Dez. 1917.
Ich möchte unserem „V.“ (Volksfreund – E.K.) auch etwas von Turkestan mit auf die Reise geben. Es ist ja Stoff genug vorhanden, besonders die teure Zeit.
Ich bin schon 74 Jahre alt, aber habe es noch nicht erlebt, daß das Pud Weizen 100 Rbl. kostet und Gerste und Hirse 85 Rbl., Reis 100 Rbl. Eier kosten gegenwärtig 20 Kop. pro Stück. Butter 6 Rbl. pro Pf. Rindfleisch pro Pf. 1 Rbl. Schweinefleisch pro Pud bis 75 Rbl. Kartoffeln bis 16 Rbl. pro Pud. So ist es mit Futter und Brennung. Die Ernte war sehr schwach, manches Getreide ging nicht auf, die Felder blieben schwarz. Manches ging auf und vertrocknete hernach, weil nicht Wasser zum Bewässern war. Anderes bekam 2 mal Wasser, das gab die Aussaat zurück. Was am besten war, ein kleiner Teil dem wurde wenige Wasser gegeben und das gab noch eine schöne Ernte, vom Pud Aussaat bis 12 Pud, aber nicht ein jeder hatte dieses Glück. Auf unserer Ansiedlung haben die meisten Wirte noch zu Brot bekommen, aber nicht alle. Wir haben auch Landlose, die alles kaufen müssen, für diese ist es schwer, wiewohl auch für sie gesorgt wird, durch das Versorgungs-Komitee.
Wir in unserm Talastal nehmen noch mit von den besten Stellen ein. Auf vielen Strecken gab es nichts. Wegen Futtermangel haben manche schon Vieh verkauft, welches auch sehr teuer ist. Wer nur was zum Verkaufen hat. Ein Nachbar in unserm Dorf verkaufte in einer Stunde eine tragende Stute, ein Füllen (ein jünges Pferd – E.K.) und 15 Pud Weizenfür 4300 Rbl.. das konnte er entbehren, und Brot für seine Familie hatte er gebaut. So hats aber nicht ein jeder.
Es ist doch eine recht schwere Zeit, der Krieg ist von uns weit entfernt. Weil aber die Eisenbahn nicht ferig ist, so haben wir in der Kriegszeit einige mal müssen Fuhrwerke stellen, um Soldaten zu fahren bis 300 Werst weit. Das letzte Mal kamen die Kosten eines Fuhrwerkes auf annährend 600 Rbl.
Unter den um uns wohnenden Mohamedaner ist bei vielen kein Brot. Wovon sie leben weiß man nicht, es sieht mancher unter ihnen ziemlich verhungert aus. In der Gegend Nordöstlich, von uns über 100 Werst ab, sind vor einem Monat schon tot gehungert, als die Unsern mit Soldaten fuhren, haben sie es selbst gesehen. Und wie lange ist es noch bis zur Ernte! Gestohlen wird auch: Pferde, Schafe, auch Weizen und Wäsche. Das Vieh schlachten sie gleich und essen es auf. Bettler gibt es schon recht viel. Einige Diebe sind eingefangen und haben ziemlich zahlen müssen. Es wird befürchtet, daß die Kirgisen mit Gewalt uns berauben können. Bie hierher hat uns der Herr noch bewahrt. Er möchte auch ferner uns Schutz sein. Wenn der Herr mit uns wollte nach Verdienst handeln, dann würde er uns Preis geben. Das Glaubensleben bei uns ist recht schwach, das Sichtbare will alles überwuchern.
Der Herr läßt seine Gerichte über die Völker der Erde ergehen, wie es Jeremia 25 Vers 12 bis zu Ende geschrieben steht.
In unserer Gegend ist es immer trocken, kein Regen auch kein Schnee, die Aussischten sind bis jetzt nicht besser, wie im vorigen Winter um diese Zeit. Man denkt oft an die Worte Offenbarung 6, 8 und 9, 18.
Möchten die Gläubigen als Kinder des Tages wachsam und nüchtern sein.

Jakob Mandtler sen.
   
Zuletzt geändert am 1 Dezember, 2016