Ein Reise-Bericht unserer Chiwaer Geschwister in der "Mennonitische Rundschau" vom 3. Dezember 1884

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 3. Dezember 1884, Seite unbekannt. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Ein offener Brief an alle Geschwister, die uns in christlicher Liebe brüderliche Handreichung gethan,  daß wir aus Chiwa nach Amerika haben kommen können.

Theure Geschwister! Durch Gottes Gnade und Beistand, der Eure Willigkeit erweckt uns Hilfe und Schutz auf der Reise gewesen ist, haben wir den langen Weg von Chiwa bis hierher glücklich zurück gelegt. Er hat Tag und Nacht, auf Höhen und Tiefen, in Wüsten und Städten, zu Wasser und zu Lande und unter allerhand Völkern und Leuten nach dem Reichtum seiner Barmherzigkeit, seine schützende Hand über uns ausgestreckt gehalten und uns sicher geführet. Trotz unserer häufigen Versündigungen und vielfacher Untreue hat er uns nie seine Treue entzogen. Ihm sei Dank und Preis für die unzähligen Beweise seiner Vaterliebe in seinem Sohne, unserm Heiland, von dem wir alle rühmen müssen: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in alle Ewigkeit. Ja, unveränderlich in seiner Liebe und Treue ist, der uns erlöset und zu sich gerufen und das Erbe gegeben hat. Er hilft allen, die ihm vertrauen und wird seine Ehre keinem Anderen lassen.
Aber auch Euch, liebe Brüder und Schwestern, deren Herz und Hand unser Vater geöffnet hat zum Liebeswerk gegen uns, danken wir mit diesen geringen und vollkommenen Schreiben. Der Herr gebe Euch Gnade und viel Gutes, er segne Euch vor allem mit allerlei geistlichem Reichthum, mit himmlischen Gütern in Christo nach dem Wort: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen,“ auf daß ihr in der täglichen Hinnahme der Liebe und Güte Gottes ein gewisses Unterpfand habt der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden. Er gebe Euch und uns reichlich Gnade, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen und das ewige Leben zu ergreifen, daß wir im willigen und geduldigen Glaubensgehorsam nach dem Zeugnis seines Wortes und dem reinen und klaren Vorbild des heiligen Wandels Jesu Christi, unser kurzes Leben einrichten zu seines Namens Preis. Er stärke uns, von seinem Wort und Vorbild nicht zu weichen, und vergebe reichlich, wo es geschehen, und helfe uns zu bestehen gegen die listigen Anlaufe des Satans. Ja, alle seine Gebote sind recht und wahrhaftig, wohl allen, die als seine Kinder in der Kraft des heiligen Geistes darin wandeln. Sie überwinden durch das Blut des Lammers, sie empfangen Palmen und weiße Kleider und preisen den, der auf dem Stuhle sitzt, Gott und das Lamm von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dazu verhelfe uns allen unser treuer Hohe Priester.
Ihr werdet auch, liebe Geschwister, gerne wissen wollen, wie und auf was für Wege uns Gott geführt und erhalten hat, davon wollen wir Euch das Hauptsächlichste mitteilen: Nachdem wir uns durch Brief und Telegraph mit den Brüdern in Nebraska und Kansas verständigt hatten, begannen wir Dienstag, den 29 April (die Angaben sind nach den neuen Styl gemacht) im Aufblick zu den Bergen, von denen uns Hülfe (Hilfe – E.K.) kommt, und zu dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat, unsere lange Reise. Tage zuvor waren unsere Brüder, die einem Rufe des Chan`s sich in der Nähe seiner Hauptstadt niederzukassen, folgten, aufgebrochen. Wir hatten klares, kühles, für die Pferde also recht günstiges Wetter, was wir ...(unleserlich – E.K.) besondere Fügung vom Herrn an... (unleserlich – E.K.). Denn obwohl wir dreiundzwanzig Familie waren, so hatten wir ...(unleserlic - E.K.)...achtundzwanzig Pferde und sechzehn Wagen. Gingen nun alle Gesunden und Kräftigen meistens zu Fuß, so hatten die Zugtiere doch sehr schwere Arbeit, weil eine lange Reise durch wüßte Gegenden eine reichliche Verproviantirung und Versorgung anderer Bedürfnisse erfordert. Kungrad, die letzte Stadt in Chiwa, war das nächste Ziel unserer Reise. Bis dahin fuhren wir immer in der Niederung des Amudarjas, die sich meistens in weite unabsehbare Ferne hinzieht und da, wo sie nicht von der schaffenden Hand der Bevölkerung in Benutzung genommen ist, mit endlosen Rohrfeldern (Schilf ?– E.K.) bedeckt ist, die oft von wüstem Gestrüpp von Weiden, Oelbäumen und verschiedenen Dornsträuchern unterbrochen sind; wilde Schweine und Fasanen sind da reichlich vorhanden; auch werden hier nicht selten Tiger erlegt. Segen (wahrscheinlich Wegen – E.K.) des Nahen des Frühlings werden die alten Rohrfelder angezündet, weiterhin ist dann der Horizont des Nachts oft schauerlich beleuchtet. Jetzt schlug auf den abgebrannten Feldern das junge Rohr dicht und saftig auf, ein willkommenes Futter für Rinder und Kameele. Nachdem wir ungefähr sechzig Werst (1 Wersta – 1066,78 m – E.K,.) in der Niederung zwieschen Rohr- und bebauten Feldern gefahren waren, führte uns der Weg an den Amudarja, so daß wir nun rechts den Fluß und links die Niederung hatten. Oft fuhren wir auf dem Damm, der das Land gegen das hohe Sommerwasser schützen muß, oft im Außendeich unmittelbar am Ufer, oft innerhalb des Dammes; die Fahrt war recht interessant, aber auch oft recht anstrengend, wenn Sumpf oder Sand durchfahren werden mußte. Die Bevölkerung, Karakalpaken, ist hier ruhiger und friedlicher, als weiter im Süden, sie beschäftigt sich mit Ackerbau und Fischfang und wohnt in einfachen Filzzelten, Kibitken genannt, zu großen Auls (Dorf – E.K.), vereinigt, beisammen. Allmählich  hörten die Dämme ganz auf, die Gegend wurde immer niedriger und das fahren beschwerlicher. Wir hatten mehrere Wasserrinnen, von denen eine recht breit war, zu passiren, und noch war der Wasserstand der Art, daß es sich ausführen ließ. Wären wir später aufgebrochen, so hätten wir kaum vorwärts kommen können; denn mit dem heranrückenden Sommer steigt der Fluß, weil die Schneemassen der Gebirge aufthauen. Viele Wegstrecken waren jetzt nur noch im ein Weniges über dem Wasser erhoben; ein Faß Wasser mehr hätte den Weg in einen unpassierbaren Sumpf verwandelt. Wir hatten gerade den rechten Zeitpunkt getroffen; früheres Fahren ist wegen der Winternässe nicht möglich.
Am 5. Mai erreichten wir Kungrad, an dem westlichsten der vielen Arme gelegen, durch welche der Amu ()Amudarja in den salzigen Aralsee sich ergießt. Unsere Kisten mit Kleidung, Wäsche u.dgl (und desgleichen – E.K.), die wir nicht auf die Wagen hatten laden können, hatten wir auf den dort gebräulichen offenen Kähnen, Kujacks genannt, gegen mäßiges Frachtgeld ....(unleserlich - E.K) ...treiben lassen. In Kungrad mußten wir sie auf Kameele verladen, was einen Aufenthalt von zehn Tagen verursachte. In drei Tagen hätten wir hiermit, sowie mit der Verproviantirung für die nächste Station von 600 Werst (400 engl. Meilen) bis zum russischen Städtchen Kara-Kamysch fertig sein können, aber der Karavanbasch (der Mann, der den Vetrag zwieschen dem Versender von Waren und dem Besitzer von Kameelen zur Beförderung derselben schließ) hielt uns so lange hin, bis wir uns gezwungen waren, auf den von ihm verlangten hohen Preis einzugeben. Außerdem nahmen wir uns hier für vierzig Rubel einen Führer Kara Dschigit (schwarzer Reiter) an, der uns bis Kara-Kamysch hindurchlotsen sollte.Wie diesem, so mußten wir auch dem Karawanbasch das volle Geld vorausbezahlen, anders wollten weder dieser die Karawane abschicken, noch jener Führer sein. Vorausbezahlen ist dort Landesbrauch, man setzt dabei weniger auf `s Spiel, als wenn man nur einen Theil bezahlt. Wären die Kameele billig gewesen, so hätten wir noch einige mit Getreide zum Proviant für die Pferde beladen, so aber mußten wir dann abstehen und die Wagen mit dem nöthigen Futtergetreide und Luzerne, der dort gebräuchlichen Futterpflanze be...(unleserlich – E.K.). Mit Besorgniß blickten wir auf den Wagen, von denen einige recht schlecht waren, und auf die Pferde die bei geringerer Last bis Kungrad schon so sehr hatten ziehen müßen, und auf die langen 600 Werst vor uns. Es fällt dem Menschen schwer zu glauben.
Am 13. Mai brachen wir wieder auf. Hatten wir während der Zeit unseres Stillliegens recht heißes Wetter gehabt, so schicke uns Gott nun wieder kühle Witterung, die besonders den stark in Anspruch genomenen Pferden zu gute kam. Von Kungrad hatten wir noch 100 Werst bis zum Ust-Urt der unfruchtbaren Hochebene, die sich zwischen dem Kaspi- und Aralsee hinzieht. Bis dahin mußten wir noch in der weichen Niederung fahren, wo die Wagenräder oft recht tief in den unbefahrenen Boden einschnitten. Als wir uns Ust-Urt näherten, kamen wir auch dem Aralsee so nahe, daß wir Meeresboden, der noch nicht lange vom Wasser frei geworden war, passieren mußten. Nur mit größter Anstrengung konnten einige besonders weiche Stellen durchfahren werden. Als wir unmittelbar an den Ust-Urt kamen, der 200-400 Fuß hoch recht steil und ..(unleserlich – E.K.) wild und öde längs dem Aralsee  sich hinzieht, hatten wir schweren  Sand, zu dem mangelte es am Wasser. Wir ...en (unleserlich – E.K.) Nachlager machen, ohne einen ...(unleserlich – E.K.) oder eine Quelle gefunden zu haben, für die erschöpften und abgetriebenen Pferde (die letzte Strecke konnten wir nur mit Vorspann fahren) ein hartes Stück. Dazu kam noch, daß wir schon am Mittag dieses Tages die Pferde nur unzureichend mit Wasser hatten versorgen können; denn der Brunnen, den wir benutzen mußten, lieferte uns nur bitteres, stinkendes und verunreinigtes Wasser von dem auch wir nur zur äußersten Nothdurft genossen. Von diesem üblen Wasser hatten wir ein weniges mitgenommen, und dieses erhielten die ermatteten Pferde. Des anderes Tages wurde früh aufgebrochen; ein großes Stück Arbeit stand es bevor: die Auffahrt auf die Hochebene. Noch fünf Werst fuhren wir...Fels..(unleserlich – E.K.). Sie hin, da waren .....(unleserlich – E.K.)..ufweg. In zwei gewaltigen Ab...(unleserlich – E.K.) der Abhang vor uns. So eine Höhe hatten wir noch niemals passieren gehabt; da fragte wohl mancher: Wie werden wir da hinaufkommen? Bis auf die Fuhrleute mußten die Insassen die Wagen verlassen, außer den vorhandenen wurden noch zwei Pferde vor die Deichsel gespannt (die Pferde mußten also den Weg zweimal machen), und lansam begannen ein Wagen nach den anderem in großen  Zwischenräumen die Bergfahrt. Und Gott half! Weder Pferde noch Wagen nahmen auf dem harten F…boden (unleserlich – E.K.) über den wir oft mußten, Scheiden. Gegen  elf Uhr waren wir mit Allem wo..(unleserlich – E.K.) halten auf, der Hochebene, über die ein frischer, kühlender Wind hinstrich, der uns auf die Anstrengung recht erquickte. Doch noch war ein gutes Stück Arbeit vor uns, wir hatten noch kein Wasser, und bis dahin waren dreißig Werst. Ungetränkt mußten die armen Pferde wieder vorwärts. Wir hatten gehofft, auf dem Ust-Urt einen völlig festen Weg zu finden aber wir fanden uns getäuscht.
(Fortsetzung folgt.)            

 

Bemerkungen von E.Klassen (ohne Gewehr) – In der Auswanderergruppe befanden sich Johannes Janzten und Elisabeth Schulz, die in ihren Tagebüchern diese Reise beschrieben. (s. auch Bericht). Die ganzen Tagebücher lese in dem Buch von R.Friesen „Aus Preußen über Russland und Turkestan nach Amerika. Tagebücher von Elisabeth Schultz (geb. Unruh) und Johannes Jantzen.  Überarbeitet und herausgegeben von Robert Friesen. Lichtzeichen, Lage, 2015.“

   
Zuletzt geändert am 27 Januar, 2017