Nachrichten aus Asien in "Gemeindeblatt der Mennoniten" vom September 1882, Nr. 9, S. 70 - 71 und Oktober 1882, Nr. 10, S. 77

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

mit freundlicher Genehmigung des Mennonite Library and Archives Bethel College.
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vom September 1882, Nr. 9, S. 70 - 71

Correspondenz von der bucharischen Grenze.

Taschkent, den 21. Mai 1882.

Werther Bruder im Herrn!

Lange sind wir „nach Taschkent gefahren“, bis wir endlich am 11. d.Mts. Auch sagen durften: „nun sind wir in Taschkent.“ Am 5. Mai brachen wir in Tschemkent auf. Krankheit unter den Pferden verursachten langsames Vordringen. Dieses Ende Weg war ziemlich interessant und recht belebt. In Tschemkent kommt nämlich die große sibirische Poststraße und der von uns gefahrene, nähere weg zusammen. Ein gut befahrener Weg ließ uns nun seine Vortheile vor einem fast nur von Karawanen betretenen gut spüren. Außer vielen Troika`s (ein mit 3 Postpferden bespannter Wagen oder Kutsche) begegneten und täglich sehr viele sartische Fuhrwerke (die mit einem Pferde bespannte Arba) mit Reisenden, meistens aber mit Fracht beladen. Das Reisen auf der Arba, welche für diesen Zweck mit einem Verdeck aus Rohrmatten zu bekommen ist, kommt billiger als per Post. Es geht da wohl nur schritt, doch legte man in einem Tage bis 60 Werst und darüber zurück, die Post dagegen fährt sehr schnell, weil sie aber von Reisenden so besetzte ist, wird ein Privatmann auf den Stationen oft lange aufgehalten. Ein Stationsvorsteher sagte mir, daß bei ihm 41 Pferde stünden; eine fast gleiche Anzahl wird sich demnach auf allen Stationen befinden. Wenn man dazu nimmt, daß die Strecke (112 Werst) von Tschemkent bis hier in 7 Stationen getheilt ist, kann man sich ein Bild von dem regen verkehr machen. Die Sarten benutzen die Post wenig; die Frauen müssen ja zu Hause bleiben, die Männer besorgen ihre Geschäfte reitend. Auf dieser Strecke trafen wir auch viel uns entgegenkommendes Militär: ein entlassenes Regiment Soldaten auf Kameelen und Arba`s, interessanter waren aber die Reitertrupps der Kosaken in voller Rüstung auf gutgehaltenen Pferden. Wir sahen nur 7 Abtheilungen (je etwas über 100 Mann, 5 Abth. ein Regiment); im ganzen sollen deren aber aus dem Turkestanschen Gebiet 2000 Mann nach Europa zurückbeordert sein. Ueber die Frage: wohin? wozu? wußten sie selbst keine Auskunft zu geben, doch meinten einige, es stände wohl ein Weltkrieg bevor. „Die Weissagung muß sich ja erfüllen“ sagte unter anderem ein Kosak in ernster Stimmung zu mir, auf die Zustände im Westen hindeutend. Die Gegend durchaus sehr uneben: Thäler und Anhöhen, mit einem Wort Gebirgsland. Von Tschemkent an hatten wir zur linken Seite des Weges in nicht allzugroßer Entfernung das Karataugebierge (Karatau, schwarzer Berg) in Sicht, dessen höchster Rücken durchaus mit Schnee bedeckt ist.

Sarabulack, den 19. Juni 1882.

Kam nicht eher zum Vollenden meines Schreibens, und muß mich auch jetzt beeilen, Ihnen in Kürze das letzte Ende unserer Reise zu schildern. Den Grund unsers längeren Aufenthalts in Taschkent theilte ich Ihnen auf meiner Postkarte mit: Ein Jüngling, dem im Winter bei der großen Kälte an einem Fuße sämmtliche Zehen erfroren waren, muße hier ins Lazaret gebracht werden, weil sie bis dahin nicht hatten geheilt werden können. Sie wurden von einem geschickten Arzte (deutscher) operiert und in kurzer Zeit war dieser leidende so weit hergestellt, daß ohne Bedenken konnte aufgebrochen werden. Ein Mehreres (Näheres? - E.K.) über die Stadt selbst zu sagen, muß ich unterlassen, habe auch selbst ein sehr undeutliches Bild davon, da es, abgesehen von der Sartenstadt oder Altstadt, so sehr weitläufig angelegt ist und man vor lauter Bäumen fast nichts davon sehen kann. Aber einer Feier will ich gedenken, die angethan war, einen vergessen zu machen, daß man sich in einer orientalischen Stadt befinde, es war die Begräbnißfeier des bei den hiesigen Bewohnern sehr beliebten Generalgouverneurs Kaufmann. Es hatten sich zu derselben die höchsten Herrschaften dieses Gebiets (von 20 – 30 Generalen) versammelt. Es fehlte da nicht an kunstvoller Ausschmückung, an hinreißender Musik, an schönen Gesang, (wie klang einem da die Melodie: „Ich bete an die Macht der Liebe“ so angenehm, so lieblich). Er wurde in einer neuen Gruft auf einem freien Platze vor den von ihm gegründeten 5 großen und ebenso hübschen Gymnasien beigesetzt. Von Taschkent führte uns unser Weg durch eine fruchtbare, starkbevölkerte Gegend. Viele und sehr große Dörfer und eine gute, zum größten Theil von beiden Seiten mit Bäumen, darunter solche von colossaler Größe bepflanzte Straße. So bis Dschinas am Syr – Darja, ein verfallener Ort, der nicht einmal den Namen eines Dorfes, geschweige noch einer Stadt verdient. Auf Böten setzten wir über diesen ziemlich breiten Fluß. Um nicht über Sonntag in der Hungersteppe liegen zu müssen, blieben wir hier bis Montag (31 Mai), dann zwei Tagereisen und wir hatten die gefürchtete Steppe hinter uns, ohne Wasser- oder Futtermangel gehabt zu haben. Sie ist ganz eben und der Weg sehr schön. Das Gras war natürlich schon alles verdorrt; weil wir aber schnell fahren konnten, reichte der mitgenommene Klee aus. Das Wasser war nur auf der ersten Station zum Kochen nicht zu gebrauchen, dazu hatten wir denn auch Flußwasser in den Fäßchen. Für die Pferde war in den Stationsbrunnen genug, auch soffen sie`s gern und viel aus dem Grunde, weil die Stationen bis 33 Werst auseinander lagen. Außer diesen sah man dann kein Gebäude, keinen Menschen, kein Vieh, fast keinen Vogel, dafür viel Heuschrecken, gelbe Scorpione, hierherzu auch viele Schildkröten. Die letzte Station vor dem Städtchen Dschisak, wo unser Weg ins Gebirge führte, war wieder belebter, bebauter. In dem benannten Städtchen, ich habe dabei immer mehr den russischen Stadttheil im Auge, bekamen wir die ersten Kirschen und Aprikosen und die billigste Gerste, die wir auf der Reise gekauft: a`Pud 31 und 32 Kop.

(Schluß folgt.)

Oktober 1882, Nr. 10, S. 77

Correspondenz von der bucharischen Grenze.

(Schluß.)

Beim Wegfahren platzte ein Radreifen, und wir mußten die Weiterreise bis auf den nächsten Tag verschieben. Dann gings einer Schlucht nach durchs Gebirge auf Samarkand zu. Siebenmal mußten wir auf der ersten Station ein reißendes, doch nicht sehr tiefes Bergflüßchen passieren. Der Herr hielt seine schützende Hand über uns, anders hätte dabei leicht ein großes Unglück passieren können; es fehlte ein Weniges und ein großer Wagen wäre in seine Fluthen gestürzt. Merkwürdig war mir die Stelle, wo wir durch ein enges, sehr hohes Felsenthor fuhren. Das Land in diesem Gebirgsthale, wie auch weiterhin war, wenigstens am Wege, von schönen Saatengefilden bedeckt, auf Stellen von den besten, die ich in meinem Leben sah. Den 5. Juni kamen wir am reichen Sarawschanthale an, etwas über 30 Werst von Samarkand. So fuhren wir in dasselbe hinab, waren wir auf guter Chaussee unter uns beschattender dichter Allee. So fuhren wir 10 Werst und schlugen unsern Lagerplatz unter gewaltigen Maulbeerbäumen beim Stationshause auf. Nach allen hier eingezogenen Erkundigungen kamen wir zu dem Entschluß, daß wir hier des 6 Werst von uns liegenden angeschwollenen Sarawschanflusses wegen würden 1 bis 2 Monate liegen bleiben müssen. Am Montage ritten einige Brüder zu den Geschwistern an der Grenze, andere nach Samarkand. Um sich selbst von der Unpassirlichkeit des Flusses für unsere Wagen zu überzeugen, ritten noch einige Brüder mit. Zu unserer Freude fanden wir das Durchfahren doch möglich. Als uns die hier angestellten Sarten sagten, daß sie uns noch auf einer flachere Stelle durchführen könnten, kehrten wir sofort um, spannten bald ein und rückten an den Fluß. Obgleich wir ihn an einer Stelle passirten, wo er sich in viele Arme theilt und der Strom überhaupt reisend ist, kamen wir doch rasch und glücklich durch. Am nächsten Tage fuhren wir in Samarkand ein, das war am 8. Juni. Zum Lagerplatz wurde uns der Hof eines alten Gefängnisses angewiesen. Noch waren wir nicht zusammen gefahren, als wir 3 Mann zum Natschalnik beschieden wurden. Nachdem dieser uns gefragt, von wo wir wären, wenn wir zu Hause weggefahren, wo wir überwintert, wie lange wir uns in Samarkand aufzuhalten gedächten, wie viel Familien wir seien (29), wo wir hin wollen (zu unsern Brüdern an der Grenze), und wir ihm dann auseinandersetzen mußten, aus welchem Grunde wir dahin gingen (wir nämlich, um Freiheit zur Ausübung unsers Glaubens zu erlangen, so viel gingen, als wir Erlaubniß hätten, bis an die Grenze Rußlands) fügte er hinzu: „Damit die Bucharen sie dort berauben, natürlich das ist ja Ihre Sache.“ Somit waren wir entlassen. Am folgenden Tage, nachdem schon beschlossen war, am 10. wieder weiter zu pilgern, ließ uns der Gouverneur sagen, daß der ganze Zug aufbrechen könne, drei oder vier Mann aber da bleiben möchten, die er am folgenden Tage (10. Juni) würde abholen lassen. Natürlich waren wir alle voll Erwartung von dieser Audienz beim Herrn General Korolkow, der mit unserer Sache schon in Petersburg durch unsere Deputierte bekannt wurde und uns seitdem immer freundlich gewesen ist. In eben solcher Weise trat er uns dann auch jetzt entgegen und nöthigte uns sofort zum Sitzen. Er erkundigte sich dann darnach, wann wir angekommen, wo wir hin wollten, was wir an der Grenze vornehmen wollten; dann fragte er nach dem Ergehen unserer Brüder an der Grenze und in Buchara. Endlich wandte er sich in deutscher Sprache an die Brüder mit der Frage: „Kennen Sie Chiwa? Wenden Sie sich dorthin; dort werden Sie Land bekommen. Der Chan von Chiwa ist viel zahmer als der Emir von Buchara. Wenden Sie sich durch eine Bittschrift oder Deputation an den russischen Oberst Grottenhelm in Petro – Alexandrowsk. Der kann etwas für Sie thun.“ Das Land am Amu – Darja, dicht an der russischen Grenze sei sehr gut, auch seien wir dort sicherer als in Buchara, durchziehen würde uns letzteres aber lassen. Zum Schlusse meinte er: „Weiter können wir nichts für Sie thun.“ Wir könnten uns ja auch noch an Tschernaijew (derselbe ist nämlich als Nachfolger von Kaufmann schon bestätigt) wenden, doch bezweifle er, ob er uns irgendwie werde helfen können. Solche Nachricht hatten wir nicht erwartet! Freudiger brachen nun alle von Samarkand auf, um dieselbe nun auch unsern Brüder zu bringen, mit denen wir uns dann auch schon am 12. Juni umarmen und begrüßen durften. Welche Freude! Größer wäre sie allerdings gewesen, wenn die 10 Familien „von den Bergen“ (Buchara) auch da gewesen. Waren von diesen Lieben uns einige schon bis Samarkand entgegen gekommen, so hatte sich von jenen auch nicht einer das kurze Endchen (10 bis 12 Werst) bis hierher bemüht. Das war sehr befremdet, ja schmerzlich. Ich fühlte mich gedrungen, noch am Tage unserer Ankunft hinzureiten und sie wenigstens doch zu begrüßen. Die Begrüßung war denn auch mit den Brüdern, die wir uns früher so sehr nahe gestanden, herzlich, mit andern aber auch ganz kalt, die weitere Unterhaltung desgleichen und sehr einsilbig. Manche ließen sich gar nicht sehen. Untereinander leben sie sehr einig. Sie wohnen in Hütten von Schillfmassen, im Sommer sehr angenehm. Am Montag waren auch einige Geschwister hier, seitdem aber niemand mehr. Von Chiwa wollen sie natürlich nichts wissen, wollen den Herrn bitten, daß auch von unserm Gange dorthin nichts werden möge. Wir hier sind uns darin aber einig, so der Herr Gnade giebt, dorthin zu gehen. Zwei Brüder und ich gedenken heute Abend unsere Deputationsreise über Buchara nach Petro – Alexandrowsk an und zwar zu Pferde, versehen mit Küssen und Empfehlungsschreiben aus Samarkand.

Die Sache mit dem nach Taschkent geforderten Jüngling ist immer noch nicht beendet, die Brüder, Tolfos (??? - E.K.) und Jantzen sind noch dort.

Noch muß ich bemerken, daß der hiesige Natschalnik in Katta Kurgan uns überaus wohlwollend ist. Er hat dem hiesigen ssartischen Aeltesten gleich Befehl zugehen lassen, unsere Pferde und Wagen bewachen zu lassen, uns überhaupt gut aufzunehmen. Im Handel sind die Leute stark nach sich, sonst können wir nur zufrieden mit ihnen sein.

Grüßend

Ed. Ruinen (ist es ein Schreibfehler, soll es heissen Emil Riesen??? - E.K.)