Nachrichten von den Mennonitischen Auswanderer nach Turkestan (Fortsetzung) in "Gemeindeblatt der Mennoniten" vom Januar 1881, Nr. 1, S. 5 und Februar 1881, Nr. 2, S. 14 - 15

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

mit freundlicher Genehmigung des Mennonite Library and Archives Bethel College.
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Januar 1881, Nr. 1, S. 5

Nachrichten

von den Mennonitischen Auswanderer nach Turkestan (Asien)

In Nr. 10 Seite 77 des Gemeindeblattes sagte der Herausgeber am Schluß der Correspondenz aus Südrußland, daß wenn ihm von dem Ergehen dieser Auswanderer Nachrichten zukommen, er dieselben mittheilen wolle. Der Schreiber jenes Briefes in Nr. 10 war nun so freundlich, ihm, dem Herausgeber, die Abschriften mehrerer Briefe, welche diese Auswanderer auf ihrer Reise an ihre Verwandten in der Heimath schrieben, zuzusenden, aus denen wir das Wichtigste mittheilen wollen.

Diese Brüder reisten nicht miteinander zu gleicher zeit ab, sondern in Abtheilung mehrerer Wochen von einander. Der Ort, von wo sie abreisten, heißt Hahnsau und sind von da bis Taschkent (wahrscheinlich die Hauptstadt von Turkestan) 2592 Werst*).

Erster Brief.

Uralsk, 26. August 1880.

(von Hahnsau 110 Stunden.)

Mein lieber Freund R.! (Riesen? - E.K.)

Der Friede des Herrn sei mit Dir! Grüße alle Brüder und Freunde und die nach mir fragen.

Heute haben wir Donnerstag; Sonnabend sind wir vor Uralsk angekommen, und noch liegen wir hier. Viel Regen! Juni den 3. Mai auf der Reise; aber Gott gibt uns Gesundheit und erhält Zufriedenheit. Es ist aber doch so etwas anderes, als daheim sein unter Dach und Fach. Die erste Regennacht in Gnadendorf war die schlimmste in Betreff des Durchregens. In diesen Tagen ist kein Regen durchgekommen. Ich hatte versäumt, in die Rückwand des Wagens, im Verdeck, ein Fenster einzusetzen. Das war ein großer Fehler. Die Oeffnungen mußten wir wegen der bösen Witterung schließen, damit die Kleinen warm bleiben, und dann war meine Frau im Finstern. Gestern hat Bruder Ed. Dyk dem Uebel abgeholfen. Wir sind sehr froh um das kleine Fensterchen. Unsere Kinder sind sehr gesund. Gott sei viel, viel Dank! Die kleine Leni und der Peter werden immer dicker, die frische Luft bekommt ihnen vortrefflich; doch schreit der kleine Peter immer noch viel. Bedeutende Erkrankungen in der Gesellschaft keine; kleine Unpäßlichkeiten. Gott hilft. Unserer Gesellschaft hat sich in Nikoladrka, eine Station hinter Nowo – Usen, eine Russenfamilie angeschlossen; der Hausvater derselben ist Soldat und hat mehrere Jahre in Taschkent gestanden und will mit seiner Familie jetzt dorthin übersiedeln. Wer weiß, wozu es gut ist. Von dem, was wir unterwegs auf der Reise bis hier gesehen haben, läßt sich nicht viel schreiben. Steppen, Steppen! **) ohne Ende. Besonders eine Strecke war ermüdend. Echte Steppe, völlig öde und eben; hohes Gras, keine Wasser, und kein lebendes Wesen, mitten hindurch auf schlängelnden Wege klappert unser langer Troß; so ging es 35 Werst fort ohne Aufenthalt. Wir fuhren bis in die dunkle Nacht hinein. Endlich Wasser! Alsbald wurde Lager geschlagen, gegessen und getrunken. 12 ½ Uhr gingen wir schlafen.

Nach 1 ½ Stunden wollen wir aufbrechen, aber schon zeigen sich wieder regenverkündende Wolken. Betet! In treuer Fürbitte liegt eine große Kraft; die haben wir ja alle nöthig; Er versorge euch und uns mit dem, was wir nöthig haben zu diesem und jenem Leben, treu zu sein in guten bösen Tagen. Seid eingeschlossen in Gottes Liebe und Erbarmen.

Dem Herrn befohlen….

Dein im Herrn verbundener Freund

J.P. (Johannes Penner? - E.K.)

Fortsetzung der Reise von Uralsk nach Orenburg (291 Werst) von einem im „Wächter“ erwähnten Sohne Joh. Dracke, geschrieben an Br. Riesen:

In Uralsk trafen wir Sonnabend, den 23. August, ein mit Regen und hatten den ganzen Sonntag über Regen, was natürlich nicht angenehm war. Wir konnten nicht einmal die Andacht gut abhalten, doch geschah es noch am späten Nachmittag. Gegen Abend hörte es auf; einige junge Leute und ich gingen noch zur Stadt, welche zum größten Theil abgebrannt war. Uralsk ist eine ganz hübsche Stadt. Futter und was sonst gebraucht wurde, war alles zu bekommen. Dienstag wurde abgefahren. Der Weg führte durch eine schönere Gegend. Man sah zu beiden Seiten Wald, manchmal fuhren wir auch kurze Strecken durch Gebüsch. Etwas Sand gabs hin und wieder auch. Doch ging so weit alles gut. Ein Wagen (kleiner Einspänner) wurde an einer schlechten sumpfigen Stelle, wo Schmied Bier liegen blieb und wir ihm mit unseren Pferden heraushalfen, umgeworfen, doch ohne dass Unglück dabei passirte. So gings dann die Woche durch bis Sonntag, wo wir auf freier Steppe, eine halbe Tagereise hinter Illeck, einer kleinen Stadt zwischen Uralsk und Orenburg, unser Lager aufschlugen. Da es schon spät war, und wir noch vor Sonntag Heu haben wollten, mußten wir für 2 kleine Fuhren 15 Rubel (etwa 3 ½ Mark) bezahlen. Es kam der Sonntag, und wieder hat uns der liebe Herr einen Regensonntag gegeben. Wir konnten nur mit Mühe eine kurze Andacht halten. Montag regnete es auch noch und mußten wir liegen bleiben; Dienstag fuhren wir jedoch, trotzdem es noch weich war, ab. Es ging dann auch alles gut. Wir hatten vor Orenburg noch einige Berge zu übersteigen. Von M. Claaßen war ein Pferd müde geworden. Frau Entz gab ihren Beigänger her, und so wurde ausgeholfen. In Orenburg kamen wir Donnerstag Abend ziemlich spät (½ 10 Uhr) an. Für gewöhnlich fuhren wir so bis 7 oder 8 Uhr, wie`s eben mit dem Wasser paßt.

(Fortsetzung folgt.)

Februar 1881, Nr. 2, S. 14 – 15

Nachrichten

von den Mennonitischen Auswanderer nach Turkestan (Asien)

(Fortsetzung)

Br. Em. Riesen in Fresenheim(Südrußland) machte dem Herausgeber die Mittheilung per Karte, daß am 24 November auch der zweite Zug glücklich in Taschkent angekommen ist.Der erste Zug war bereits am 17. Oktober in Turkestan angekommen und wird, wie berichtet wurde, über den Winter in der Nähe von Taschkent auf einem Gute verbleiben.

Folgender Brief ist aus dem ersten Zug über die Strecke von Karabutak bis Kasalinsk, 544 Werst.

Kasalinsk, den 13. September 1880.

Im Herrn Jesu geliebte Mutter und Schwester!

Meinen vorigen Brief vom 17. August aus Karabutak werdet Ihr, wie ich hoffe, bei guter Gesundheit erhalten haben. Eine Trauerbotschaft brachte er, indem Euch der Tod unserer kleiner Anna darin gemeldet wurde. Nun dieser bringt eine Freudenbotschaft, indem ich euch melden kann, daß meine liebe Frau den 10. d. Mts. hier durch Gottes gnädigen Beistand von einem gesunden Töchterchen entbunden wurde. Mutter und Kind nach Umständen sehr wohl. Ja der liebe Vater hat uns geholfen über Bitten und Verstehen. Sein Name sei gelobt in Ewigkeit. Amen.

Nachdem wir uns in Karabutak mit dem nöthigen Futter und Lebensmitteln versehen, traten wir den 18. August unsere Weiterreise an und gelangten Sonnabend den 23. August wohlbehalten in Irgis an. Es ist dieses der letzte Ort vor der Wüste, wo etwas zu bekommen ist und hatten deshalb einige Tage Arbeit, bis wir uns mit dem Nöthigsten versorgt hatten, um den Weg durch die Wüste antreten zu können. Wir hatten daselbst kaum unsern Lagerplatz gewählt und ausgespannt, so waren auch schon die Kirgisen da und gleich bereit, uns mit unsern Wagen durch die Wüste zu bringen. Sie forderten nur 40 Rbl. für einen der schwersten Wagen, indem sie vorgaben, 4 Kameele vorspannen zu müssen. Wir erhielten überhaupt die verschiedensten Nachrichten über den vor uns liegenden Weg, bis wir einen Kaufmann trafen, der vor etlichen Wochen mit eigenem Fuhrwerk von Taschkent gekommen und jetzt wieder auf der Rückreise begriffen. Derselbe zweifelte gar nicht daran, daß wir mit unsern Pferden durchfahren würden, besonders dann, wenn wir auf dem schwersten Stellen einander vorlegen wollten. Diesem Rathe sind wir denn auch nachgekommen, haben uns dabei auch ganz gut befunden. Zu meinem 2. Wagen, der ohnehin für 2 Pferde schon immer etwas schwer ging, kaufte ich mir im Irgis noch eine Kirgisenstute für 35 Rbl. (5 Jahre alt und in gutem Futterzustand.) Für den Hafer mußten wir in Irgis 1 Rbl. 20 Kop. zahlen; kaufte ihn von der Militärbehörde aus den Kronsmagazinen, sonst ist keiner zu haben. Für Kalatsch (Weissbrot in Russland – E.K.) mußten wir pro Pfund7 Kop., Fleisch 7 bis 8 Kop.***) zahlen. Zum Hafertransport hatten wir vier Mann Kirgisen mit 25 Kameelen angenommen, Fracht a`Pud bis Kasalinsk 45 Kop. Und 4 Rbl. Aufs ganze für Versorgung der Kameele an den Karawanenbasch (Karaw. Oberhaupt), ohne welchen keine Karawane zu miethen geht. Ich hatte für 7 Pferde 70 Pud Hafer gekauft. Es wird Euch etwas viel scheinen,aber es ist in dieser Wüstenei zwischen Irgis und Kasalinsk kein Pfund Heu für Geld zu bekommen, so daß wir auch nur auf unsern Hafer angewiesen waren, haben auch nirgend Weide, Rohr oder sonst etwas angetroffen; nur Kurrei (Salzkraut - Red.) oder andere stachlige Kräuter und Gebüsche, wohl tauglich für ein Kameel aber kein Pferd. Habe aber doch von meinem Hafer ungefähr 10 Pud überbehalten. Wasser haben wir, ausgenommen zwei Stationen, überall hinreichend gehabt. Recht schweren Sand hatten wir nur: 6 Werst (7 Werst = 1 deutsche Meile – Red.) die längste Strecke, wo der Weg am Aralsee vorbeiführt. Wir legten uns da vor und fuhren erst die eine Hälfte Wagen durch, dann holten wir die andere nach. In einem Zeitraum von 8 Stunden waren wir damit fertig. Hinter dieser Sandstrecke gleich Station und hinreichend Wasser. Nachdem mußten wir noch zweimal vorlegen ungefähr 3 und 2 Werst. Sonst sind wir überall ziemlich leicht weggefahren. Auf den längsten Strecken hatten wir Lehmboden, stellweise etwas sehr stuckrig. Wenn wir unsere Kameele Tags manchmal nicht sehen konnten, Abends zum Thee stellten sich die Führer sich immer ein und hielten sich dann ganz frei; nur schade, daß wir uns mit ihnen nicht verständigen konnten. Was wir ihnen zu sagen hatten, ließen wir uns von den Vorstehern der Stationen dolmetschen. So gelangten wir denn unter Gottes Schutz und Beistand den 9. September glücklich und gesund hier in Kasalinsk an, wollten uns hier zu unserer Weiterreise rasch verproviantieren und dann den 11. Mittags unsere Reise wieder antreten, welches aber, wie zu Anfang meines Briefes erwähnt, durch die Entbindung meiner Frau verhindert wurde. Auch starb Donnerstag Abend Wiebes kleiner Jacob. Das ist das 11. Kind, welches durch den Tod aus unserer Reisegesellschaft genommen wurde. Es ist, wie wir auf verschiedenen Stellen gehört, dieses Jahr die Kinderkrankheit, woran unsere sämmtlichen Kinder gestorben sind, in diese Gegend herrschend. So sind auch in Irgis Erwachsene derselben erlegen.

So gedenken wir denn, da sich meine Frau ganz wohl befindet, Montag, den 15. d.Mts. Unsere Reise weiter fortzusetzen. Ach wir können ja gewiß glauben, daß der treue Herr, der uns gnädiglich bis hierher geleitet und geführet hat, er wird auch weiter helfen, (u.s.w., u.s.w. - Red.)

Verbleibe schließend Euer Euch liebender Bruder in dem Herrn Gerh. Jantzen.

Nachtrag: Muß noch kurz bemerken, daß die Melonen und Arbusen, welche wir in Irgis schon zu treffen glaubten, erst hier getroffen haben. M. Wie Arb. a`Stück 3 – 5 Kop., aber viel mehr werth wie bei Euch. Hier in Kasalinsk leben wir alle Mittag von Fischen; Welz und Karpfen, 15 Pud kosten 14 Kop., wenn man handelt noch billiger.

Orsk, 28. September 1880.

Brief vom zweiten Zug.

Mein lieber Bruder Riesen!

Der Friede des Herrn Jesu sei mit Dir und den Deinigen.

In Eile einige Zeilen, um Nachricht von unserer Reise zu geben. Mittwoch, den 10. September Nachmittags sind wir von Orenburg abgefahren. Wir wurden dadurch abgehalten, früher aufzubrechen, daß sich Montag Abends Fr. Fröse`s ältester Sohn den rechten Arm gebrochen hatte, was Ihr wohl wissen werdet. Es steht ziemlich gut mit ihm. Vor einigen Stunden sind wir hier angekommen (11 Uhr Vormittag). Nachmittag sollen die nöthigen Einkäufe zur Weiterreise gemacht, und dann, so Gott will, morgen früh aufgebrochen werden. Einige Nachrichten von dem Orenburg – Orsker Wege: Mangel haben wir auf demselben nicht gehabt, Menschen und Thiere haben stets reichlich gehabt. Hafer kostete 80 – 100 Kop.; in Orsk auf Nachfragen 50 – 80 Kop. Wir wollen 400 Pud kaufen. Zu dem, was wir davon nicht laden können, sollen Fuhren angenommen werden. Der genannte Weg war interessant; vielleicht wird er der interessanteste der ganzen Reise bleiben; wir passirten nämlich die südlichen Ausläufer des Uralgebirges. Obwohl dieses Gebirge mehr sanfte Kuppen hat, so konnten wir uns doch von dem Geschauten ein Bild von Gebirgslandschaften machen, besonders da, wo die Felsen, von der Humusschicht, die hauptsächlich das Ganze bedeckt und mit dichtem Steppgras bewachsen ist, entblößt, kahl und nackt hervorstarren. Der Weg ist im ganzen genommen gut, allein einzelne Parthien sind schlecht, sehr schlecht; wozu die Auffahrt über die Höhe des Gebirgszuges gehört; zwischen Bergen und Felsen, auf schmalen, steinigem Wege, der an manchen Stellen kaum so breit ist, daß zwei Wagen an einander vorbeifahren können, geht es lange Zeit, mir wurde sie der armen Pferde und der Wagen wegen viel zu lang, immer Berg an. Ein Pferd von Onkel M. Claaßen ist, jedenfalls in Folge der Strapazen dieses Weges, unbrauchbar geworden und mußte verkauft werden. Sonst steht alles gut, wofür dem Herrn herzlicher Dank gebracht sei. Unsere Kinder sind recht gesund, bedeutende Erkrankungen sind in der ganzen Gesellschaft keine.

Grüße die Brüder, die Bekannten in deinem Dorfe, alle, die nach uns fragen. Sei dem Herrn befohlen, bete, bete zu Gott im Geist und in der Wahrheit, der beste Rath, den ich dir geben kann; man kann es nicht immer, o selig, wer da betet als armer, armer Mensch, der vom Versöhner zum Vater gezogen ist.

Schreibe doch bald, es erquickt mich so. Ich hätte wohl viel zu schreiben, ich muß es aber sparen; aber beten wollen wir für einander.

In alter Liebe dein Freund

Johannes Penner.

*) 7 Werst sind 2 Stunden, also die ganze Entfernung 710 Stunden.

**) Steppe, eine Wüste, unfruchtbare Ebene.

***) 8 Kopeken = 28 Pfg., 1 Rubel etwa 3 ½ Mark 1 Pud = 40 Pfund

Bemerkung von E.Klassen – es handelt sich vermutlich um Gerh. Jantzen (Janzen), der im Buch von R.Friesen „Auf den Spuren der Ahnen “ auf der S. 68 mit seiner Familie abgebildet ist. Ohne Gewähr.