Bericht von Karl Mahr über Turkestan, in der „Friedensstimme“ Nr. 52 vom 30. Dezember 1906, S. 584-585

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

 

Etwas aus Turkestan, dem Herzen Asiens.

„Turkestan“ – das  ist der Name des Generalgouvernemenst, das alle mittelasiatischen Länder Rußlands umfaßt und dessen Hauptstadt (zu deutsch Stenort) Sitz des Generalgouverneurs ist. Seine Größe kommt wohl der Deutschlands und Frankreichs zusammen gleich. Es zieht sich vom Südwesten (vom Kaspischen Meer) nach Nordosten hin, wo es an Südsibirien stößt. Nördlich von ihm liegt der Aralsee, der doppelt so groß ist als Württemberg und Baden zusammen. Derselbe nimmt die beiden Hauptströme, den Amu – Darja (Darja heißt Fluß) und den Syr – Darja, auf. Der erstere ist beinahe zweimal so lang als der Rhein. Es sind diese zwei die schon im grauen Altertum bekannt gewesenen Flüsse Oxus und Jaxartes. Alexanders des Großen kühner Zug endete an letzterem Fluß, und hatte sein großes Reich, das westlich bis nach Südeuropa hineinreichte, seine äußerste Ostspitze ungefähr bei der heutigen Stadt Chodschent. Diese Ostspitze markierte er auch durch eine jetzt gänzlich verschwundene Stadt Alexandria. Das dritte danielische Weltreich, das makedonisch – griechische, von dem wir in Dan. 2 und 7 lesen, ging also von allen vier biblischen Reichen, auf die das verheißene Königreich Jesu auf Erden als fünftes, aber göttlich regiertes und im eigentlichen Sinne ewiges Reich folgen soll (Dan. 2, 44), am meisten nach Osten.
Ein anderer großer Binnensee im Norden ist der Balchaschsee, ein drittel so groß als der Aralsee. In ihn fließt der Jli *), der aus dem von hohen Gebiergen umgebenen See Issyk – Kul (Kul heißt See) kommt. Die übrige Nordgrenze Turkestans bildet das Generalgouvernement der Steppe. Im Osten grenzt es an China, und im Süden wird beinahe Indien gestreift. Ferner liegen im Süden das verschlossene Afghanistan und das offenen Persien.
In fünf Gebiete teilt sich Turkestan: Vom Kaspischen Meer bis zum Amu – Darja liegt das wüstenreiche Transkaspigebiet (Hauptstadt, d.h. Sitz des Gouverneurs, Aschabad); zwischen Buchara und dem Syr – Darja befindet sich das Sarefschan – Gebiet (Hauptstadt Samarkand, im Mittelalter Residenzstadt der mächtigen Eroberer Dschingischan und Timurlan, noch herrliche Ruinen anweisend, im Altertum Marakanda genannt); östlich davon liegt das Fergana – Gebiet, von hohen Gebirgen ringsumher umschlossen (Hauptstadt Neu - Margilan); östlich von Syr – Darja erstreckt sich das Syr – Darja – Gebiet (Hauptstadt Taschkent, 160, 000 Einw.), und weiter östlich hin, bis nach Südsibirien sich erstreckend, finden wir das gebirgsreiche Gebiet Semiretschensk, zu deutsch Siebenstromland, mit dem interessanten See Jssyk – Kul (siehe oben) als Herzpunkt (Hauptstadt Werny, auf vulkanischem Boden).*)
Der ganze Osten Turkestans ist Hochgebirgsland. Im westlichen und nördlichen Teil befinden sich große Sandwüsten, aber auch große Gebiete, wie die sog. Hungersteppen, mit gutem Boden, der nur des Wassers harrt, dessen Hinschaffung möglich sein soll. Das Kulturland, uralt, zieht sich längs der Gebirge und Flüsse hin. Ohne Bewässerung wäre bei der Regenlosigkeit des Sommers keine Fruchtbarkeit vorhanden. Die Mühe wird aber reichlich entschädigt. Wie hier der Wein wächst! Dem Schwaben wärs eine „Luscht“ das anzusehen; über die Art des Anbauens, die größtenteils uralt iat, im Morgenlande sind wohl die meisten Sitten und Einrichtungen noch uralt, würde er jedoch seinen konservativen Kopf schütteln. Ferner gedeiht hier prächtig die Baumwolle, auf deren Anbau die Regierung großes Gewicht legt. Reis, eine Wasserpflanze, wird von den Eingeborenen viel gebaut. Selbstverständlich gedeiht hier auch fast alles Getreide, namentlich Weizen und Gerste. Die noch nicht zahlreichen deutschen Kolonien (aus Deutschen bestehend, die in Rußland einheimisch sind) betreiben hauptsächlich Weizenbau. Alles deutsche Obst gedeiht hier meist gut, stammt es doch zumeist aus Asien. Zucker – und Wassermelonen wachsen hier im Sommer selbstverständlich gut. An Aprikosen ist in guten Jahren Ueberfülle da. Pfirsiche und besonders Mandeln gedeihen besser in den südwestlichen Gebieten, wo die Frühfröste sich weniger bemerkbar machen. Sogar Feigen und Granatäpfel werden hier reif, die Bäumchen müssen aber im Winter eingeschlagen werden, was aus Vorsicht auch mit dem Wein geschieht, denn während die Hitze im langen Sommer bis auf 26 – 28° R im Schatten steigt, kann der kurze Winter auf einige Wochen eine Kälte bis zu 19° bringen und wohl auch mehr. Das sei von der Taschkenter Gegend gesagt.
Das Klima ist gesund, abgesehen von dem Fieber, das doch noch öfter sich zeigt. Die Luft ist rein, frühmorgens geradezu köstlich, weil das Gebirge sich allenthalben am Südostrande hinzieht, von Kaspischen Meer bis nach Südsibirien. Kann man im Sommer viel im Schatten sein, so ist die Hitze sehr leicht erträglich, denn abends und nachts weht fast immer eine kühle Luft, die vom Gebierge herkommt. Im September sind die Morgen und Nächte sogar schon kalt.
Eine große Plage während der Zeit von Mai bis September sind abends und nachts in der Nähe vieler Flüsse und Aryks (Bewässerungskanäle) die Stechmücken. Das stillstehende Wasser, das zur Fortpflanzung dieses Insekts nötig ist, wie die Naturgeschichte sagt, fand ich an vielen Orten nicht, dann die Gewässer hier haben fast alle einen reißenden Lauf. Es ist genau dieselbe langbeinige und langrüsselige Mücke, welche sich in Deutschland wie überall, nur in geringerer Zahl, findet, z.B. an einer feuchten Bachwiese, namentlich wenn sie am Waldesrande sich hinzieht; in solcher Waldpartie ists abends nicht gut auf der Ruhbank sitzen. Betreffs der mückenreichen Gegenden Turkestans sagt man, daß wenn Menschen sich in denselben ansiedeln, die Mücken sich infolge des Bebauens und Anpflanzens nach und nach verlieren. Mir sind zwei russische Dörfer bekannt, die nur in den ersten Jahren von Mücken geplagt waren, jetzt aber verschont sind.
Bäume wachsen hier sehr schnell. An Waldbäumen sind hier vorherrschend, neben anderen Arten, besonders die Pappeln und Weiden (beide in mehreren Arten) und die Ulme (in zwei Arten).
Die Eingeborenen, sämtlich friedliche Leute und alle Muhamedaner, bestehen hauptsächlich aus den nomadisierenden Kirgisen (Mongolen). In den Städten und größeren Orten sind sie sog. Sarten (Kaukasier) (es ist falsch, Sarten sind sesshaften Usbeken – E.K.), die Handel und Handwerk treiben. Im Transkaspiegebiet leben die Turkmenen (Mongolen). IN Chiwa und Buchara, Vasallenstaaten Rußlands, welche inmitten Turkestans liegen, befindet sich eine von den sog. Sarten mehr oder minder abweichende Bevölkerung. Die Sprache, namentlich der Kirgisen, Sarten und Turkmenen, ist fast ganz gleich; sie ist ein tatarisch – türkisches Jdiom.
Sonnenhell ist das Land, vieles, vieles ist schön in demselben, nicht alles. Aber ein geistliches Dunkel ruht auf dem muhamedanischen Volk. Wenn auch friedlich und in gewissem Sinne gutmütig, ist es doch verlogen, wortbrüchig und habsüchtig. Wohl glaubt es an den einigen Gott wie die Juden, aber vom R e t t e r Jesus Christus weiß es nichts. Die Armen beten wohl viel an öffentlichen Orten und Straßen, aber ohne Nutzen für sie. Gott gebe Mittel und Wege, daß das Evangelium vom Reich, welches den Sünderheiland, der am Kreuze für alle starb, anpreist, noch viele in Mittelasien für die Ewigkeit rette!

 

Taschkent.
Karl Mahr.

*) – viele Kommentare sind hier geografisch nicht korrekt – E.K.
   
Zuletzt geändert am 30 März, 2018