Das Waisenhaus in Großweide. Aus dem „Mennonitisches Jahrbuch“ Nr. 9, 1911-1912, S. 126-129

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitschrift "Mennonitisches Jahrbuch" 1911-12. Teil 5: S. 114-141.

 

Der Gründer unseres Waisenheims, Br. Abraham Harder, der mit seiner lieben Frau zusammen diese Anstalt leitet, war so freundlich, auf meine Bitte einen Bericht für das Jahrbuch einzuschicken.* Nachdem er kurz eingedeutet, wie Gott schon lange vorher in seinem Herzen den Wunsch angeregt hatte, etwas für die Waisen zu tun, hat er ihm schließlich den Glaubensmut gegeben, mit der Sache zu beginnen. Er erzählt: „Im Jahre 1906 hatte der Herr uns - ihn und seine Frau – so weit erzogen, daß wir unsere Wirtschaft – in der Krim – verkaufen und ihm folgen konnten. Wir zogen in die Molotschna-Kolonie, um einen für ein Waisenhaus geeigneten Platz zu suchen. Gerne wären wir mit unseren Werk auf die sogenannte „große Schäferei“ gegangen. Leider erhielten wir aber auf unsere diesbezügliche Anfrage gehörigen Ortes eine Absage. Nach ernstlichen Gebet zeigte uns Gott nach zweimonatlichem Suchen einen Platz in Großweide. Den kauften wir unter günstigen Bedingungen und zogen am 20. Juni 1906 dorthin und durften mutig mit der Einrichtung beginnen.
Anfänglich standen wir vor der Frage, ob es nicht besser sei, wenn ein Verein zusammenräte und die Sache in die Hand nähme. Unser Gott führte uns aber so, daß wir Klarheit und die Freudigkeit dazu erhielten, in seinem Namen und in gläubigem Vertrauen auf den Vater der Witwen und Waisen zu beginnen, auch ohne einen Verein hinter uns zu haben. Wir gewannen Mut, das ganze Werk zu einer Glaubenssache zu machen. Wunderbare Gebetserhörungen gaben uns immer wieder Mut, auf diesem betretenen Wege weiter fortzufahren. Unser Geld, welches wir noch zur Einrichtung des Heimes hatten, ging zur Neige. Als der letzte Rest für Mehl ausgegeben war, ging ich in mein Kämmerlein und legte diese Angelegenheit betend in Gottes Hand und sagte ihm: „Herr, wenn du willst, daß wir diese Werk weiter führen sollen, dann zeige jetzt, daß du helfen kannst.“ Voller Erwartung und im Glauben den Himmel schauend, ging ich mit dem Gedanken hinaus: „Gott, wie wirst du es jetzt machen?“ Er wußte Rat. Nach einer Stunde erhielten wir per Post 25 Rubel „zur Gründung des Waisenhauses.“ „Gott, du bist der Gebetserhörer, darum kommt alles Fleisch zu dir!“ Mit Tränen des Dankes in den Augen empfingen wir die erste Liebesgabe für unser Waisenheim. Wir erfuhren, wie Gott zu helfen versteht. Aufs neue konnten wir sagen: „Herr, es ist dein Werk, und im Vertrauen auf dich wollen wir dasselbe fortsetzen.“
Am 29. September desselben Jahres nahmen wir den ersten Waisenknaben auf. Ihm folgte am 20 Oktober der zweite. Am Einweihungsfeste, am 29. Oktober 1906, waren schon zwei Waisen zugegen. Am 30. Dezember kam noch ein Knabe hinzu, so daß zu Neujahr 1907 schon drei Pfleglinge unter unserer Hut waren. Die Zahl der Kinder wuchs. Im Jahre 1907 nahmen wir 8 Waisen auf, 1908 – 5; 1909 – 5; 1910 – 7; 1911 – 3; 1912 – 9, überhaupt vierzig Kinder. Eine Halbwaise wurde auf des Vaters Wunsch zurückgegeben, welche bald darauf ihrer verstorbenen Mutter nachfolgte. Für 39 Waisen sorgt gegenwärtig unser Gott, und wir freuen uns, seine Handlanger sein und zu dürfen. Ein Knabe erlernt schon das Schmiedehandwerk, und ein anderer besucht die Zentralschule in Gnadenfeld.
Voll Staunen blicken wir auf die verflossenen 6 Jahre unserer jungen Anstalt zurück. In Freude und Leid merkten wir, wie Gott uns führte und wie er zur rechten Zeit half. Wir müssen mit Salomo bekennen: „Herr, Gott Israels, es ist kein Gott, weder droben im Himmel, noch unten auf erden, dir gleich, der du hälst den Bund und Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen.“ (1.Kön. 8,23.) Die Anstalt ist größer geworden. Ihr Wachstum erinnert uns an viele schöne Erfahrungen, die Gott uns machen ließ. Er weckte immer wieder das Interesse in der Geselschaft und schicke durch „Freunde der Anstalt,“ was wir täglich nötig hatten. Alles, was wir in Laufe der 6 Jahren bauten, wurde im Vertrauen auf den Herrn, aber mit leerer Kasse begonnen. Der Vater der Waisen ließ uns nie im Stiche. Besonders groß war seine Hilfe im letztverflossenen Jahre. Unser großes „Eben-Ezer,“ wie die schöne neue Waisenschule nennen, ist ein Beweis der Größe und Treue unseres Gottes. Anfänglich planten wir nur eine Werkstelle zu bauen. Weil aber der Platz der alten Schule zu sehr neben dem Viehstalle war und zudem für unsere wachsende Anstaltsfamilie doch bald zu klein sein würde, so legten wir auch diese Angelegenheit dem Herrn betend vor. Es wurde uns klar, daß es besser sei, eine neue Schule zu bauen. Bald gab er auch Freudigkeit zu bauen. Auf die Frage, ob groß oder klein gebaut werden solle, gab der treue Gott aus seinem Worte Klarheit: „Mache den Raum deiner Hütte weit und breite aus die Teppiche deiner Wohnung, spare sein nicht; dehne deine Seile lang und stecke deine Nägel fest.“ (Jes. 54,2.) Dann wagten wir es, unserm Gott im Blick auf den Schulbau zwei Bitten vorzulegen: 1) daß er der Leiter des ganzen Baues sein möchte und es so führe, daß alles nach seinem Willen gebaut werde und 2) daß er es so machen möchte, daß wir keine Schulden zu machen brauchen. Der große Gott zeigte sich auch hier als der Gebetserhörer. Zu seiner Ehre dürfen wir sagen: Die Schule ist fertig geworden, sie kostet 12000 Rubel, und wir brauchten kein Geld dazu borgen. Ist das nicht Gebetserhörung?
Am 31. Oktober des Jahres fand die Einweihungsfeier statt. An demselben Tage wurden auch die Handarbeiten der Kinder, welche sie im Laufe des verflossenen Jahres angefertigt hatten, durch einen Ausruf verkauft. Lehrer Joh. Joh. Janz, welcher 5 Jahre lang unser Anstaltslehrer war, wurde seiner zunehmenden Schwerhörigkeit wegen gezwungen, seinen Lehrerberuf in der Schule aufzugeben. Er übernahm den Posten eines Handarbeitslehrers für die Knaben. Sein Nachfolger in unserer Schule, unser Sohn Abraham, unterrichtet gegenwärtig 30 Kinder.
In den ersten Jahren machte sich der Mangel an Schwesternhilfe sehr fühlbar. Gegenwärtig danken wir Gott für 3 tüchtige Schwestern, die uns treu zur Seite stehen und dem Herrn an den Kleinen dienen. Die vierte wird, so Gott will, nach Weihnachten eintreten.
Im Blick auf die Kindererziehung bekennen wir, daß sie sehr schwer ist und daß wir noch lange keine Meister darin sind. Wir müssen täglich lernen, empfangen aber auch „unser täglich Brot heute“ für jeden Tag, d.h. täglich das nötige Maß von Weisheit bei größern und kleinern Vorkommnissen bei der Erziehung. Verschiedene Erfahrungen und auch Mißerfolge und Enttäuschungen durften uns nicht mutlos machen. Verschiedene schöne Erfahrungen auch bei der Erziehung der Kinder berechtigen uns zu dem freudigen Bekenntnis, daß unsere Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn. Gott, der Allmächtige, wolle auch ferner seine Segenshände über uns ausgestreckt halten und die ganze Waisenhausarbeit zu seines Namens Ehre und Verherrlichung weiter fortführe.
Alle Leser des Jahrbuches möchten unser fürbittend gedenken!
Die Hauseltern: A.Harders“

*) schreibt G. Harder - Halbstadt

   
Zuletzt geändert am 19 Februar, 2018