Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung
Zeitung: "Der Bote" 1924-2007. Redaktor bis 1955
Dietrich Epp. Rosthern
Artikel: Konfessionell oder National? Ph. D. Cornies. "Der
Bote" 28. Januar 1925
Konfessionell oder National?
Probleme und Fragen, welche das Leben aufrollt, werden frueher
oder spaeter vom Leben selbst geloest oder beantwortet. Das ist
ein Gesetz der Entwicklung, von dem sich nicht viel abwenden laesst.
Was Menschen dazu beitragen koennen, traegt in den seltensten Faellen
einen bestimmten Charakter. Unsere Anteilnahme beschraenkt sich
lediglich auf eine gewisse Beeinflussung, auf die Registration von
gegebenen Tatsachen und auch das geschieht meistens postnumerando
(nachher).
Doch ist eine solche Registration, eine solche Eroerterung von brennenden
Tagesfragen und Problemen von grosser Bedeutung und durchaus notwendig,
weil wir einzig und allein auf diese Weise an die grosse Masse herankommen
und ihr die verborgenen Gesetze ihrer Entwicklung zum Bewusstsein
bringen koennen. Und das ist unerlaesslich, wenn die Entwicklung
in gesunden Bahnen verlaufen soll,
In diesem Sinne moechte ich meine Ausfuehrungen ueber das eben angefuehrte
Thema verstanden haben. Ich bin da auch lediglich Registrator. Ich
habe versucht den verborgenen Quellen nachzugehen, aus welchen uns
Kraft und Saft fuer den wirtschaftlichen, geistigen und geistlichen
Kampf des Lebens entspringt und habe versucht, den Lauf des Waesserleins
zu bestimmen und aufzuzeichnen, wie er sich dem aufmerksamen Beobachter
unseres Volkes zeigt.
Ich will von vornherein zugeben, dass das Thema etwas zu breit angelegt
ist. Fuer den uneingeweihten erscheint es etwas komisch, die Frage
in dieser Fassung zu diskutieren. Denn wen wir unseren Einschlag
als Kulturfaktor recht hoch einschaetzen, so muessen wir doch nicht
vergessen, das inbezug auf die Kopfzahl unser Verhaeltnis zu der
uebrigen Bevoelkerung wie 1 zu 1600 ist. Wenn wir aber das Wort
"national" brauchen, so klingt das ziemlich grosssprecherisch.
Man muesste sich bescheidener ausdruecken. Nun laesst sich aber
der Ausdruck nicht gut umgehen, weil er sich am besten deckt mit
dem Begriff, den wir meinen. Denn der Begriff "national"
ist hier identisch mit dem Begriff einer bestimmten Abgrenzung und
Abschliessung vom uebrigen Teil in Bezug auf Rasse, Blut, Sprache,
Charaktereigenart, Kulturfaehigkeit, Lebensfuehrung usw. Die Abgrenzung
braucht nicht notwendigerweise auf allen Gebieten durchgefuehrt
zu sein, es genuegt, wenn man sie auf mehreren Gebieten konstatieren
kann, um einer Volksgruppe ihren ganz bestimmten Platz als selbstaendige
Groesse anzuweisen.
Gerade das ist der Fall bei uns Mennoniten. Schon abgesehen von
allem Konfessionellen und Religioesen, bewegen wir uns auf durchaus
selbstaendigen Entwicklungslinien und wir muessten unser Thema etwa
so formulieren: konfessionell und national. Dieses zu begruenden
ist der Zweck meiner Abhandlung. Man will uns durchaus als rein
religioese Gemeinschaft stempeln, mit ausgesprochen religioesen
Tendenzen und Zielen. Und das auf Grund der Erwaegung, dass wir
wie ein geschlossenes Ganzes, nie ein Staatengebilde im eigentlichen
Sinne des Wortes dargestellt haben.
Wahr ist: eingeigelt haben wir uns nie und wenn das allein den Igel,
resp. eine Nation ausmacht, dass sie sich zusammenschliesst zu blutiger
Abwehr gegen fremden Angriff oder zu raeuberischem Ueberfall zwecks
Landerwerb, so sind wir nie eine Nation gewesen. Denn so sehr unser
Volk von jeher auf Landerwerb ausging, es geschah immer nur auf
dem Wege des friedlichen Wettbewerbs. Es tut hier nichts zur Sache,
dass dabei sehr oft zu skrupellosen Mitteln gegriffen wurde, dass
krasser Materialismus und ausgepraegteste Eigennuetzigkeit staendige
Begleiterscheinungen dieses friedlichen Wettbewerbs waren, wichtig
ist hier das Prinzip, und das ist meines Erachtens immer gewahrt
worden.
Doch die Geburt eines Volkes geschieht nicht immer unter Kriegswehen,
sondern auch wie wir es an Juden und Karaimen sehen, unter der Einwirkung
eines erhabenen religioesen Gedankens. Sind sie nun infolgedessen
ausschliesslich konfessionell? Das wird niemand im Ernst behaupten
wollen. Sind doch beispielsweise die Juden bekannt, als Nation unter
den Nationen, die sich als solche durch viele Jahrhunderte hindurch
behauptet haben, die heute dastehen als voelkische Groesse, mit
der ueberall gerechnet wird. Das sehen wir auch bei unserem Volke.
Uns gebar ein religioeses Motiv, der kategorische Imperativ ein
nach den hoechsten Idealen menschlicher und goettlicher Offenbarungen
suchenden Menschenseele. Und dieser religioese Gedanke ward der
Flugapparat, die Flugkraft, die uns ueber Laender und Meere trug;
aber daneben ruhte wohl verwahrt ein durchaus erdenfester, wurzelechter
Kulturkeim. Und wo er sich niederliess, da war er bodenstaendig
in einem Masse, wie kaum ein anderes Pflaenzchen dieser Gattung.
Wohl marschierten wir immer im Zeichen einer religioesen Idee, aber
daneben trug unser Panier immer die Aufschrift: Bebauet die Erde!
Unser Gewand war in Form und Schnitt im Kirchenrock, aber der Geruch
des Feldes, der Kraftgeruch der Erde und der dampfenden Scholle
haftete ihm an, wo wir gingen und standen. Oder, um es mit einem
auf der Margenauer Konferenz von mir gemuenztem Ausdruck zu sagen:
Wir riechen nicht bloss nach Religion, sondern auch nach Schwarzbrache!
. . .
Man koennte uns in mancher Beziehung Bahnbrecher des religioesen
Gedankens nennen, aber andererseits sind wir wohl mehr, denn je
es ein Volk gewesen ist, im wahrsten Sinne des Wortes Schollenbrecher
der Kultur.
Denn wo es galt, ein Neues zu pfluegen und Neuland zu roden, da
waren auch die Mennoniten zur Stelle, diese Honigbienen "des
Staates", wie sie ein hollaendischer Publizist nennt. So war's
zwischen den Deichen des alten Holland, so war's im Ditmarschen
und Friesischen, in preussischen und russischen Landen, in den Praerien
Amerikas und in den endlosen Ebenen Westsibiriens. Und wo sie erschienen,
da erschienen sie nicht mit leeren Haenden, sondern mit dem Kronjuwel
menschlicher Arbeit und praktischer Bodenkultur, mit dem erdenbezwingendem
Pfluge.
Und mit dem Pfluge begrenzten sie, um bildlich zu sprechen, ihr
Weltbild und ihre Weltanschauung und schufen sich die beiden Pole,
zwischen denen ihr Denken und Fuehlen, ihr Leben und Wirken hin
und her pendelte und stolz nannten sie dieselben: Hof und Acker!
Diese Faehigkeit des Aufgehens in der Scholle ist das eine der beiden
grossen Prinzipien, des kulturellen und religioesen, die bei uns
Pate gestanden haben, immer noch stehen, (jetzt nicht mehr) und
diese Faehigkeit half uns zusammenschweissen zu einer selbstaendigen
Gruppe mit eigenartigem voelkischem Charakter. Seit unserem Erscheinen
auf der Bildflaeche der Menschheitsgeschichte ist dieser unser kultureller
Einschlag nie zu verkennen gewesen.
Aber, und damit kommen wir auf das zweite, auf das religioese Prinzip,
ob wir im Staube der Gassen wandelten, unsere Augen hafteten am
Himmel, unsere Sehnsucht streifte die Sterne. Ich sagte schon vorhin,
dass man uns die Honigbienen des Staates genannt hat. Eingehend
auf diesen Vergleich moechte ich darauf hinweisen, dass wir im religioesen
Gedanken, in unserer religioesen eigenartigen Auffassung, das gemeinsame
Flugloch hatten, welches in Bezug auf unseren gesamten wirtschaftlichen,
kulturellen und moralisch-geistigen Fortschritt unser Suchen und
Finden, unser Koennen und Wollen, unsere Saat und Ernte bestimmte
und foerderte. Noch mehr, dieses gemeinsame Flugloch gab uns das
Gepraege der Solidaritaet, den grossen Zug in's Demokratische und
Gemeinsame, der uns durch die Jahrhunderte hindurch eigen gewesen
ist; es gab uns letzten Endes das, was fuer den Charakter und die
Erziehung eines Volkes von hoechstem Werte ist: ein sensibles Volksgewissen
und eine geschulte, geschaerfte oeffentliche Meinung. Und diese
letzten beiden Faktoren war fuer unser Volksleben das, was Zaum
und Gebiss fuer das Pferd sind. Denn sie zuegelten die oft ueberschaeumende
Kraft unseres Volkes, welches, weil es stets unmittelbar an der
reichen Mutterbrust der Erde zu liegen gewohnt war, in moralischer
Beziehung leicht ueber die Straenge schlug, nun aber in Bahnen gelenkt
wurde, welche einigermassen, befriedigende Resultate ergab. (Ich
erinnere z. B. an die Geschichte der Entstehung und Liquidierung
der Schankwirtschaften in unseren Kolonien).
Aber hinter dem Volksgewissen und der oeffentlichen Meinung stand
immer der kategorische Imperativ (Befehlsform) des religioesen Gedankens
als die eigentliche Triebfeder unseres geistigen resp. geistlichen
Fortschritts, als das grosse Lebensprinzip der religioesen Flugkraft
unserer Volksseele, wie andererseits das uns innewohnende, stark
ausgepraegte Kulturprinzip die Triebfeder unseres wirtschaftlichen
Fortschritts war.
Diese, unsere zwei grossen Lebensprinzipien, waeren die beiden kommunizierenden
Gefaesse, deren Inhalt inbezug auf Quantitaet und Qualitaet sich
immer wieder gegenseitig ergaenzte und beeinflusste. Das ist eine
tiefe Wahrheit, die von den wenigsten unter uns verstanden und gewuerdigt
wird, die sich aber an Hand unserer Geschichte, an unserer vierhundertjaehrigen
Wuestenwanderung durch die alte und heutige Welt leicht nachweisen
laesst. Es ist wahr, die Gastgeber, welche uns je und je Raum zur
Herberge gaben, fragen nie in erster Linie nach dem religioesen
Prinzip. Unser Passier- und Einlassschein, unser Credo und rechtskraeftiges
Visum war das Kulturprinzip, das man schaetzte und achtete, waehrend
das erste nur notgedrungen mit in Kauf genommen wurde. Wir waren
eine gangbare Muenze; doch war es nicht das religioese Bild und
Gepraege, das und begehrlich machte, sondern der helle Ton des Metalls,
d. h. unsere kulturelle Taetigkeit.
Aber nur dem Zusammenwirken dieser beiden Prinzipien im Laufe der
Jahrhunderte haben wir es zu verdanken, dass wir heute dastehen
als selbstaendige Groesse mit nationaler Tendenz, dass man von uns
spricht als von einer besonderen Gattung, dass wir als Kultur-spezie
nicht bloss europaeischen, sondern sogar Weltruf geniessen.
Die Schlussfolgerung aus dem Gesagten ergibt sich von selbst. Wie
jeder Stern im AEthermeer seinen Platz und seine Bahn hat, so auch
wir im Voelkermeer. Und waere der Stern noch so klein, das Recht
zu erscheinen nach Mass und Kraft kann ihm niemand nehmen, noch
wehren. Und ist nicht unser Voelklein so ein Sternlein am Voelkerfirmamente?
Ist es nicht geradezu von Bethlehem mit seiner eigenartigen Idee
der Wehrlosigkeit? Ist diese Idee nicht das Hoechste, Edelste, Menschlichste
was je ersonnen wurde? Ist es nicht der Stern der Weisen, den zu
suchen von jeher die Besten der Menschengeschlechter sich anheischig
gemacht haben und den zu finden doch nur unserem Volke, wenn auch
nur zu relativem Sinne, beschieden gewesen ist? Denn die Kelle ohne
Schwert, die Pflugschar ohne Spiess, die Kultur ohne Blut, wie wir
sie geuebt und gepflegt haben, ist das nicht die Rose ohne Dorn,
von der Dichter und Denker gesungen und geredet haben und die doch
nur in unserem Garten zur Bluete gelangt ist?
Ich weiss, was man hierauf entgegnen wird. Ich weiss, dass die Ereignisse
der letzten Jahre, wie wir sie in unserem Volksleben zu verzeichnen
haben, eine nicht misszuverstehende Sprache reden. Ich weiss, dass
ein Verrat am Volksideal stattgefunden hat. Ich weiss aber auch,
dass eine Rueckkehr zu den alten Altaeren durchaus moeglich ist
und durchgefuehrt werden muss, wenn wir den uns von der Geschichte
angewiesenen, angestammten Platz behaupten wollen. Auf die Mittel
und Wege zu einer solchen Rueckkehr will ich spaeter kommen. Und
was den Verrat betrifft, so geschah es unter dem Druck von Ereignissen
und Verhaeltnissen, die in ihrer Grauenhaftigkeit diesen Verrat
zwar nicht rechtfertigen, aber doch entschuldigen und verstaendlich
machen. Wir haben in einer Stunde hoechster Not und schlimmster
Leibesgefahr Pflug und Schwert gehandhabt und haben weniger Haus
und Hof, als vielmehr unser Kostbarstes, unsere Familien verteidigt.
Und dass wir es nicht schlecht getan haben, davon zeugen die Reden
unserer Feinde, worin bis heute das Wort "feige" im Sinne
der Welt, nicht wohl aber des Glaubens, noch keinen Platz gefunden
hat. Das ist eine gewisse Genugtuung. Aber trotzdem muessen wir
sagen, dass diese unsere Tat in ihren Folgen dem Bienenstich gleichkommt,
der uns einen teilweisen moralischen Tod gebracht hat. Es ist an
der Zeit, an die Rueckkehr zu denken, ehe es zu spaet wird. Denn
ich glaube trotz allem, was vorgefallen ist, immer noch an unsere
spezielle Mission in der Voelkergeschichte, wie sie der Hollaender
Ostersee so schoen festlegt: "Fuer alle Zeiten bleibt es von
Bedeutung, dass seit der Reformation eine Kirchengemeinschaft besteht,
welche eine inkarnierte (sich verkoerpernde Fleischwerdung) Erinnerung
an das Ideal des Reiches Gottes genannt werden kann.