Brief von Peter Wittenberg, Donskoje, Neu Samara, in der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 9. Mai 1923, Seite 8

 

Abgeschrieben von Lydia Friesen (geb. Esau) (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 9. Mai 1923, Seite 8. (gotisch) von Lydia Friesen (geb. Esau).

 

 

Donskoje, den 21. Feb. 1923.
An Herman H. Neufeld,
Werter Freund. - Ihren sehr werten Brief vom 18ten Januar d. J. erhielten wir am 18ten Februar. Herzlichen Dank. Als ich den Brief im vorigen Sommer abschickte, sah es hier mit der Ernte sehr traurig aus, aber Gott sei Dank, es trat eine Aenderung im Wetter ein, welches die Natur aufleben ließ, und infolgedessen es Stellenweise schönes Getreide gab. Hätten wir alle mehr aussäen können, so könnte unsere Ansiedlung auf eigenen Füßen stehen, aber so sind viele noch immer auf die Mithilfe unserer amerikanischen Brüder angewiesen. - Dank der Freundlichkeit des Herrn Professor Alvin J. Miller in Moskau erhalten die Armen und Hungernden unserer Ansiedlung (Wolost Lüxemburg) seit Dezember Monat 1921, Lebensmittel: Mehl, Grütze, Reis, Bohnen, Fett, Zucker, Cacao und Milch. Seit Oktober 1922 gibt es pro Seele monatlich die Hälfte von dem früheren Quantum, da doch ein großer Teil  der Hungernden etliche Kartoffeln, Rüben u.s.w. geerntet haben. - Da ich seit dem 15ten Juni 1922 als Geschäftsleiter des "American Mennonite Relief" unserer Luxemburger Wolost stehe, so sind mir so ziemlich genau die Verhältnisse und Bedürfnisse unserer Armen bekannt, und muß ich sagen, das wohl die Zeit von allen herbeigesehnt wird, wo nicht mehr die Hilfe unserer Brüder im fernen Amerika darf angerufen werden. - Seit dem 15ten Juni 1922 bis zum 1. März 1923 sind verteilt worden: 261 884 Rationen! Die Zahl der Ausgespeisten für diesen letzten Februar war 856 Seelen! Die Einwohnerzahl unserer Ansiedlung ist gegenwärtig 3827 Seelen! Also fast noch ein Viertel erhält die Mithilfe! Da die Ziffer stetig wächst, so rechnen wir vom 1ten März an mit 1000 Seelen monatlich, bis zum 1ten August. - Also 5000 X 28 Rationen = 140 000 Rationen! Unser aller sehnlichster Wunsch ist jetzt, wenn ein jeder von dejenigen, die da Mithilfe bekommen, etliche Deßjatin mit Getreide besäen könnten! - Die Regierung verspricht, die Aussat zu 1000 Desjatin zu liefern, das ist für unsere Ansiedlung schon eine große Hilfe. Viele von unseren Mennoniten wollen immer noch auswandern nach America, aber die Hoffnung solches zu verwirklichen, sinkt immer mehr da immer neue Hindernisse in den Weg kommen! Zum kommenden Frühjahr sind uns von Herrn Proff. Alvin J. Miller, Moskau, etliche traktore versprochen worden, und hoffen wir fest, daß selbige kommen werden. Wir können dann doch für unsere Aermsten, die nicht Pferd noch Kuh besitzen, etliches Land pflügen. - Ein großer Kledermangel macht sich fühlbar, ja es sind Familien da, die schon etliche Jahre kein Hemd auf dem Leibe gehabt haben, so wie wir es früher gewohnt waren! Man näht eben etwas von Säcken zusammen, und das Hemd ist fertig. - Viele haben schon ganz den Mut verloren, und geben ganz die Hoffnung auf, nochmal ein besseres Leben zu sehen. - Wieviel Mühe und Arbeit und Schweiß hat es dem Bauern gekostet, bis er es soweit gebracht hatte, seine Wirtschaft so mit allen Maschinen, Geräten, Vieh u.s.w. zu besetzen, wie er es bis zum Ausbruche des unglückseligen Krieges im Jahre 1914 gebracht hatte! In etlichen jahren war alles dahin! Die letzten Mißernten nahmen dem Landmanne das Letzte! Und doch , wenn man einen Vergleich zieht, zwischen den letzten beiden Wintern, so muß man sagen, Gottlob und Dank, man sieht nicht mehr die tausenden von Bettlern, und vielen tausenden Toten, welche vor Hunger und Kälte sterben mußten. Ihre Geschwister Jacob Hüberts wohnen hier noch immer auf ihren Wassermühlen zirca 1 1/2 Werst von unserer Kolonie ab. Gleich den anderen Tag, nachdem ich ihren Brief erhalten, traf ich Jac. Hübert, und übermittelte ihm Ihren Gruß! Seine Mühle arbeitet wieder. Er meinte, sein Schwager H. H. Neufeld erwarte ihn wohl schon immer in New - York, und er stehe noch immer in Rußland. - Wir haben hier ziemlich viel Schnee. Der Winter ist hier immer etwas zu lang, besonders in den letzten Jahren, wo doch alles, somit auch das Brennzeug knapp ist! - Wenn Sie meinen Onkel Kornelius Wittenberg etwa Mal treffen sollten, übermitteln sie ihm doch unsere besten Grüße. Wir haben wieder unser Brot, und was die Kleider anbetrifft, so würde man ja gerne mal was Neues anziehen, aber es wird auch so gehen. -
Herzlich grüßend Ihr
Peter A. Wittenberg,
Donskoje, Post Pleschanow, Kreis Busuluk, Gouv. Samara.

 

 

Bemerkungen von Lydia Friesen (Esau):

Peter Abram Wittenberg (31.01.1881, Danilowka, Krim - 11.10.1937, Sorotschinsk, bei Neu Samara) (#1058587)

Auszug aus einem Privatbrief von Peter Abram Wittenberg, Donskoje, Neu Samara, in der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 6. September 1922, Seite 13.

Brief von Peter Abram Wittenberg, Donskoje, Neu Samara, in der "Mennonitische Rundschau" vom 27. Dezember 1922, Seite 9.

 

An Hermann H. Neufeld:

Hermann Hermann Neufeld (5.09.1890, Sergeyevka, Fuerstenland - 28.12.1959, Vancouver, British Columbia) (#98133)

https://gameo.org/index.php?title=Neufeld,_Herman_H._(1890-1959)

 

Ihre Geschwister Jacob Hüberts:

Jakob Kornelius Hübert (7.09.1875 - ?) (#98146)
Helena Hermann Neufeld (7.09.1888, Sergeyevka, Fuerstenland - 1955, Russland)

Mühle am Tock, bei Neu Samara Kolonie. Von Andreas Tissen.

   
Zuletzt geändert am 31 Oktober, 2019