Brief von Isaak und Sara Wall, Schönwiese, Sibirien, in der "Mennonitische Rundschau", vom 9. August 1933, Seite 5

 

Abgeschrieben von Lydia Friesen (geb. Esau) (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 9. August 1933, Seite 5. (gotisch) von Lydia Friesen (geb. Esau).

 

 

Schönwiese, Sibirien, 5. Juni 1933.
Wir haben ja dort in Canada sehr viele Bekannte, und wir möchten diesen gerne mal ein Lebenszeichen zukommen lassen. Es ist heute Pfingstmontag, aber an Feiertag wird nicht gedacht. Auf dem Felde wird Brache gepflügt, im Garten gearbeitet und manches andere. Eure Tochter ging heute des Morgens über den Hof mit der ganzen Brigade der Frauen, und sie schaute zum Fenster herein. Gottesdienste finden nirgends mehr statt, weil keine Prediger mehr sind. So lange war noch in Schöntal und Schönsee, aber jetzt ist alles aufgelöst. Das Versammlungshaus hier in Schönwiese wurde in der Saatzeit von den Frauen und Mädchen abgebrochen. Da könnt Ihr Euch denken, wie uns zu Mute war. Auch Ihr habt seiner Zeit  beim Bau desselben geholfen, und jetzt ist es bis auf den Boden geschleift.
Meine liebe Frau wurde im Winter sehr krank, im Februar konnte sie wieder aufstehen. Weil unsere Aerzte ihr nicht helfen konnten, so riet man uns, nach Omsk zur Klinik zu fahren, um sich einer Operation zu unterwerfen. Am 16. März fuhren wir hin. Die Professoren untersuchten sie , und es wurde empfohlen, daß sie einige Zeit dort bleibe. Sie wurde immer schwächer, und die Hoffnung auf ihre Genesung mußte fast aufgegeben werden. Mir wurde gesagt, ihr sei nicht zu helfen. Sie war aber zu krank und zu schwach , um die Heimreise anzutreten. Doch eine Aenderung trat ein, sie konnte wieder sitzen. Wir ließen unsern Sohn kommen, u. mit d. Bedingung, sie gut zu pflegen, entließen die Aerzte sie.  Wir kamen auch glücklich Heim, der Herr gab viel Gnade. Sie kann doch noch nur zum Tisch kommen, sonst muß sie dauernd das Bett hüten. Am 5. Mai erkrankte unser Sohn am Fleckentyphus, hat es überstanden, doch ist noch sehr schwach. Am 18. Mai erkrankte auch unsere Tochter daran, jetzt doch schon auf dem Wege der Genesung. Uns wurde der ganze Verkehr mit anderen verboten, und so war ich mit meiner kleinen Tochter Sara von der Welt abgeschnitten. Ich selbst bin aber noch sehr schwach vom letzten Jahr. Unser Sohn Isaak ist Rechnungsführer auf der Traktorstation in Halbstadt. Er möchte zurück, doch wird er noch nicht entlassen.
H. Matthies, wohnt am Ende des Dorfes in Joh. Rempels Heim. Da er nicht mehr predigt, darf er im Kollektiv arbeiten, hat aber kein Stimmrecht. Sie haben alte Onkel G. Dück bei sich und verpflegen ihn und erhalten dafür Arbeitstage angerechnet. Onkel Dück ist ganz kindlich und schwach, und er muß unter steter Aufsicht sein. Der andere Onkel G. Dück wurde wegen Aerenlesen auf 3 Jahre Gefängnishaft verurteilt. Er ist jetzt in der Gefangenschaft in Omsk gestorben. Letzterer hat einen leiblichen Bruder Peter Dück in Coaldale, Alberta. Heinrich Klippenstein ist ja in der Verbannung. Seine Frau liegt schon drei Jahre mit einem kranken Fuß zu Bett. Der alte Onkel P. Reimer ist gestorben, er war fast ganz erblindet. Alte Hieberts wohnen in Nikolaidorf, wo er schmiedet. Tante alte Teichrieb ist ganz alt, muß den Stock beim gehen gebrauchen. Die alte Tante Isaak wohnt in Petrowka, Bernhard Isaak ist gestorben. Frau Jak. Fast wohnt in der Krim. In ihrer Wirtschaft wohnt Johann Wolf. In Eurer gewesenen Wirtschaft ist die Kinderkrippe. Bei P. Nachtigals sieht man ein trauriges Familienleben. Sein Peter liegt im Krankenhause im Halbstadt, ihre Tochter Anna liegt im Fleckentyphus. Alte Onkel Penner ist wieder in ihrem Hause und wird ganz vom Kolektiv unterhalten.
Von Franz Unraus und Boldten haben wir schon über 2 Jahre keine Nachricht, und wir wissen auch ihre Adressen nicht, sonst würden wir ihnen schreiben. Kommst Du auch mal mit Aeltesten Korn. Harder zusammen? Wir möchten mit diesem Euch alle dort herzlich grüßen. Ihr habt keine Vorstellung, wie es hier geht. Prediger Heinrich Janzen ist noch immer in der Verbannung. Seine Frau ist bei ihren Kindern, ist arm und verachtet. Von den Verbannten sind schon sehr viele gestorben. Martin Enns, Gnadenheim, ist frei, er darf sich aber im deutschen Rayon nicht aufhalten. Seine Kinder sind dort wohl alle gestorben. Vergeßt unser nicht in Euren Gebeten.
In Liebe Eure Freunde Isaak und Sara Wall.

 

 

Bemerkungen von Lydia Friesen (Esau):

Isaak Isaak Wall (1879, Grossweide, Molotschna - 1938), Sohn von:
Isaak Isaak Wall (ca 1845 - 52, Sparrau?, Molotschna - 1924, Schönwiese/Degtjarka, Barnaul) (#1329749)
Ida Neufeld (1855 - 1904, Podolsk, Neu Samara) (#1329750).

Isaak Isaak Wall (1879 - 1938) ist der Bruder von meine Urgrossmutter:
Justina Isaak Esau (geb. Wall) (1886-88, Grossweide, Molotschna - 1914, Klinok, Neu Samara) (#1335464).

Martin Enns, Gnadenheim, ist frei:

Martin Abraham Enns (6.06.1879, Saribasch, Crimea - 25.02.1940, Russland) (#530946).

   
Zuletzt geändert am 15 September, 2019