Brief von J. M. Wedel aus Nikolaipol, Asien in der "Mennonitische Rundschau" vom 12. September 1900

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 12. September 1900, Seiten 2 und 4. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Asien

Nikolaipol, den 24 Juli 1900.
Werte „Rundschau!“ Da wir schon längst Leser der „Rundschau“ sind, aber noch nie etwas dafür geschrieben, so will ich im kleinen einen Versuch machen. Ich will aber von vorneherein um Nachsicht bitten, da ich kein guter Schreiber bin, so will ich denn da anfangen, was jetzt in meinem Innersten das meiste redet: Ich muß jetzt in diesen Tagen recht viel, an die letzte Zeit denken, denn wir hören nun von Krieg und Kriegsgeschrei, Hungersnot, Pestilenz und Erdbeben, hin und wieder. „Dann“ sagt der Heiland, „hebet eure Häupter auf, weil sich eure Erlösung nahet“. Oftmals fragt sich mein Herz: „wie steht`s mit dir, bist du bereit, wann der Herr kommen wird“. O, wenn ich auf mich blicke, dann fühle ich mich zu ungeschickt für die Seligkeit, ich finde so viel an mir, was mir nicht gefällt. Wie viel mehr wird es meinem lieben Heiland nicht gefallen. Heiland, du bist mein ein und alles, auf dich verlasse ich mich, du bringst mich durch das Thränenthal, in deinen Freudensaal. Dort wollen wir uns begrüßen, die wir jetzt so weit voneinander wohnen, dort giebt es kein Scheiden mehr.
So will ich denn noch nach Rußland gehen, nämlich nach Gnadenthal. Da habe ich einen Onkel, Peter Voth. Wir lasen in Nummer 20 der „Rundschau“ daß Tante Voth an der Wassersucht leidet. Wir sind neugierig zu hören, was sie machen. Gehe denn gleich über nach Mariawohl, da hab ich noch einen Onkel Namens H. Voth, auch von da möchten wir gerne mal was hören. Da sind denn noch viele Nichten und Vettern. Würden uns sehr freuen, etwas von euch allen zu hören. Bemerke noch, daß wir so ziemlich gesund sind. Außer unsre jüngste Tochter, welche schon seit sieben Wochen einen schlimmen Husten hat. Hier herrscht sehr der Husten und der rote Ausschlag, sind auch schon viele Kinder gestorben. Im vergangenen Jahr starb uns ein Söhnchen von vier Monaten. War nur 22 Stunden krank, aber gleich sehr krank. Besonders die letzten Stunden waren sehr schwer. Dann führte der Herr uns wieder in eine Prüfung: ich fiel wieder in meine alte Krenkheit. Dann wurden wir uns einig, wir wollten nach Taschkent zum Arzt fahren, so machten wir uns Ende September reisefertig, fuhren Montag auf Mittag in Gesellschaft mit Br. H.Ott und Geschwister Franz Otten hier weg. Letztere fuhren nach Chiwa auf Besuch. Schwester Ott durfte ihre Mutter helfen beerdigen. Wir kamen Sonnabends, 3 Uhr nachmittags, in der Stadt Taschkent an und gingen Montag zum Arzt. Er befrug sich alles, verschrieb uns dann Medizin. Ich war diesen Winter auch sehr gesund, und jetzt geht es auch so ziemlich. Laßt uns darnach ringen, daß wir uns alle dort verklärt wiedersehen.
Will noch ein wenig von der Witterung schreiben. ES ist gegenwärtig schön; von Mittwoch  auf Donnerstag hat es sehr geregnet. Wir hatten den Klee eben gemäht. Muß nun noch ein paar Tage liegen zum Trocknen. Heute beendigen wir für dies Jahr die Bewässerung. Ja, der liebe Vater versorgt uns auch hier in Asien. Er läßt im Winter Schnee auf die Gebirge fallen und dann haben wir den Sommer genug Wasser, unser Getreide zu wässern. Das Getreide steht wieder schön. Einige lassen schon Weizen von den Kirgisen schneiden. Diese schneiden mit der Sichel. Es beschickt nicht sehr, aber wir haben noch immer alles bis zum Winter auf den Boden bekommen. Berichte noch, daß meine Mutter noch lebt, sie zählt 63 Jahre und ist dieses Jahr sehr leidend. Sie läßt alle Freunde und Bekannten grüßen mit Ps. 27,1. Mein Vater Abraham Wedel starb vor vier Jahren, er war über zwei Jahre leidend, aber immer getrost im Herrn. Wenn wir nach Hause kamen ihn zu besuchen, dann fragte ich ihn manchmal: „Wie geht es?“ „O Kind,“ sagte er dann, „es geht himmelwärts. Ich habe ja den Heiland als Führer, der läßt mich nicht allein.“ Wir mußten ihm manches schöne Lied singen.
So will ich denn noch ein wenig nach Oklahoma zu alten Kor. Reimer gehen. Ihr werdet auch wohl die „Rundschau“ lesen. Als wir von Jakob Reimers den Brief bekamen, bestellten sie, wir sollten alte J.R. grüßen. Dem bin ich auch nachgekommen. Ich ging selbst hin mit dem Brief, las ihnen dann auch vor. Der alte Onkel kann nichts mehr sehen, er hat immer einen Stock, damit kann er allein zu den Nachbarn gehen. Ich ging noch mit der Tante in ihre Stube und sie zeigte mir die Phtographien, die sie von ihnen bekommen haben, sie sagen ihnen schönen Dank dafür. Tante sagte: „Ja, ich und Tante Reimer, wir haben uns sehr lieb gehabt.“ Sie wünscht noch manchmal, wenn sie noch einmal könnten zusammen sprechen, aber da sieht ihr für diese Zeit dunkel. Sie glaubt dort oben Sie wieder zu treffen. Sie sagte, ich sollte nur schreiben, denn die Kinder hatten nicht Zeit.
Grüßend,
J.M.Wedel

   
Zuletzt geändert am 27 Januar, 2017