Bericht über Mennoniten in Turkestan in der Zeitschrift „Mennonitische Blätter“ 1905, Seiten 85-86

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

 

Kopie der Zeitschrift „Mennonitische Blätter“ 1905, Seiten 84-87. (gotisch) von Elena Klassen.

 

 

Mennoniten in Turkestan.

Unser Gemeindekalender bringt zum 17. Oktober die Notiz: Ansiedelung der russischen Mennoniten in Turkestan 1880. Also sind schon fünfundzwanzig Jahre vergangen, seit jene kleine Schaar von russischen Glaubensgenossen sich im fernen Osten niedergelassen hat. Unerschütterliche Zähigkeit im Halten an der hergebrachten Wehrlosigkeit auf der einen Seite trieb sie in die Ferne, das Warten auf die Erfüllung der letzten Zeiten, dem das Buch Daniel und die Offenbarung Johannis zu Grunde gelegt war und durch Stllings Schriften, aber auch durch lebende Persönlichkeiten stark genährt wurde, war die andere Triebfeder.
Der durch General Todleben mit den Mennonitenkolonien getroffene Vergleich, daß die wehrpflichtige Jugend ganz ohne Ausbildung mit Kriegswaffen zu friedlichen Kronsdiensten in eigenen Forsteien eingezogen werden sollten, genügte ihnen nicht. Die Frist, bis zu welcher man sich entschieden haben mußte, zu bleiben und sich der genannten Art der Dienstleistung zu unterwerfen, oder frei auswandern, lief 1880 ab. Nach Amerika überzusiedeln, wie es Zehntausende ührer Brüder schon getan, dazu möchte diese kleine Gruppe sich nicht entschließen, weil sie durch die Winke der Schrift über die letzten Dinge mehr geneigt war ihre Blicke nach Osten zu richten, wenn doch einmal gezogen werden mußte. Hauptsächlich aus den Niederlassungen an der Wolga stammend, nur durch einigen Zuzug aus der Molotschna im Gouvernement Taurien verstärkt, strebte sie die Erlaubnis der russischen Regierung zur Auswanderung und Ansiedlung unter den östlichen Grenzvölkern an, welche noch nicht ganz dem russischen Reiche einverleibt waren, aber doch schon in dem Bereich russischen Einflusses sich befanden.
Ihre Deputation fand in Petersburg wenig Entgegenkommen. Hier begegnte ihr aber im Vorzimmer eines Ministers der General Kaufmann, welcher soeben Taschkend erobert hatte. Dieser lud sie ein, sich in seinem Bezirk anzusiedeln, und versprach ihnen alle mögliche Unterstützung, auch in Bezug auf die Wehrfreiheit, da die Auslegung und Anwendung des Wehrgesetzes (von 1874) dort ganz in sein Ermessen gestellt sei. Im Vertrauen auf diese Zusage machte die Auswandererschaar sich auf den Weg nach Turkestan und bekam von General Kaufmann die Gegend von Aulie Ata, 400 Werst südlich von Taschkend, angewiesen. Als gute Kolonisten sind die russischen Mennoniten längst bekannt. So gelang es bald ihrem Fleiß und ihrer praktischen Tüchtigkeit, in jenem Gebiet Landbau nach deutscher Art zu treiben. Das Bild in unserer heutigen Nummer zeigt und das Mühlengewese von Cornelius Wall senr. In Aulie Ata, welches gegenwärtig von seinen beiden Söhnen bewohnt wird. Die Berge im Hintergrund sind schon dem großen Himalayagebirge nördlich vorgelagerte Bergketten.
Die Häuser in der linken Ecke sind die Wohnungen mit der Mühle, die übrigen sind Schauern und Speicher. Das ganze Gehöft ist von einer Lehmmauer umfriedigt.
Im Ganzen sind etwa fünfundzwanzig Familien gegenwärtig dort angesiedelt. Ein Teil der um 1880 nach Turkestan Verzogenen hat sich nach Chiwa gewendet und wohnt jetzt auf einem Landgute des Chans von Chiwa als Pächter unweit von Ak Metsched. Das Gotteshaus, welches sie sich dort erbaut haben, ist vor zwei Jahren in unserem Blatte geschildert worden.
Von den dortigen Brüdern kamen am Anfang des September zwei Männer auf der Reise nach Amerika durch Hamburg. Durch sie wurde uns mündlich über die Erlebnisse der Brüder während ihrer Fahrt nach Turkestan, über die Gründe der Trennung in zwei Teile im Jahre 1881 und über die Schreckensszenen berichtet, wie der jetzt in Chiwa angesiedelte kleinere Teil von räuberischen Turkmenen überfallen und ausgeplündert wurde. Wir müssen uns aus verschiedenen Gründen versagen, hier weiter darauf einzugehen. Wir verdanken diesen Brüdern das Bild, welches wir heute unseren Lesern bieten können.
Man sieht an der Ausdehnung des Geweses, an den zahlreichen und an der Einrichtung des Gartens schon, daß drüben im fernen Osten unter den Eingeborenen des Landes Hülfskräfte zur Verfügung unserer Brüder stehen, ohne die sie in so ausgedehnter Weise ihre Wirtschaft nicht betreiben könnten. Anders steht es in Chiwa: dort haben sich die Kolonisten auf allerlei nutzbringende Gewerbe verlegt und damit ihr tägliches Brot gefunden. Nach dem vorhin erwähnten Ueberall durch turkmenische Räuber hat ein Teil jene Gegend verlassen und mit Unterstützung Glaubensgenossen in Kansas sich nach Amerika begeben. Aber die gegenwärtig noch bei Aulie Ata und bei Chiwa Ansässigen haben vorläufig nicht die Absicht, ihre neue Heimatstätte aufzugeben. Wir senden ihnen unsere Grüße in die Ferne. Gott wolle sie dort behüten und führen!

   
Zuletzt geändert am 30 Januar, 2020