Reisebericht aus Asien in der Zeitung "Offene Türen" Nr. 5, Oktober 1912, S. 21, 23-24

 

Zugeschickt von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Offene Türen" Heft 5, Oktober 1912. (gotisch) von Viktor Petkau.

 

 

Durch eine Postkarte meldet Bruder Vollrath, daß er von der Regierung die Erlaubnis zum Aufenthalt in Turkestan erhalten hat.
Am 19. August sind unsre Geschwister zunächst nach Taschkent abgereist.
Bruder Vollrath schreibt: „Freilich ist der Ausblick auf die Zukunft sehr dunkel, die Verhältnisse spitzen sich mehr und mehr zu. Jetzt haben sogar die Popen das Recht zum Verhaften. Nun wir blicken auf Den, der über allem steht. Jes. 50, 10“.

 

Asien.
Zentral – Asien.
Unter den Kirgisen in Turkestan.

Mir ist es eine große Freude, an meinem bescheidenen Teile mithelfen zu dürfen an der Arbeit unter den Kirgisen, in deren Mitte der Herr uns gestellt hat. Gleich von Anfang unseres Hierseins an, nachdem es bekannt wurde, daß ich bereit war zu helfen, suchten uns die Kirgisen auf, und schon viele Wunden habe ich in der Zeit verbinden dürfen.
Es wäre mir nicht möglich, all diese Arbeit verrichten zu können, wenn nicht der Herr dazu in besonderer Weise alles darreichen würde. Ich selbst fühle mich körperlich oft sehr schwach, doch bisher war der Herr meine Stärke.
Es kommen oft Kirgisen zu mir mit sehr schlimmen Wunden und Krankheiten der verschiedensten Art. Gegenwärtig habe ich einen kleinen Jungen von etwa 4 Jahren in Behandlung. Derselbe hat am Körper eine sehr große Brandwunde. Er war in der Hütte dem Feuer zu nahe gekommen, sodaß seine Kleider von demselben ergriffen wurden. Solche Fälle kommen oft vor, weil die Kirgisen in ihren Hütten alle offenes Feuer an der Erde haben. Kürzlich habe ich schon ein Kind behandelt, welches auf dieselbe Weise verunglückt war. Leider kommen die Kirgisen gewöhnlich erst dann hierher, wenn die Krankheit schon so schlimm ist, daß sie keinen Rat mehr wissen. Oft werden kleine Kinder gebracht, die so mit Schmutz und Ungeziefer behaftet sind, daß ich dieselben zunächst erst am ganzen Körper gründlich abseifen muß, ehe ich etwas weiteres tun kann. Obgleich hier kein Mangel an Wasser ist, so gehen die Kirgisen damit doch sehr sparsam um und Seife kennen manche kaum.
Nicht selten kommt es vor, daß mir die Kirgisen in ihrem Unverstand die Behandlung der Wunden erschweren. So kam kürzlich eine Frau mit einm kleinen Kinde. Dasselbe hatte ein sehr schlimmes Bein und hohes Fieber. Die Kirgisen haben die Sitte, die kranken Stellen, besonders wenn sie geschwollen sind, mit dem Messer gründlich zu zerschneiden. Vor einiger Zeit  sah ich eine Frau mit einem geschwollenen Leib, den man ihr ebenfalls auf diese Weise zugerichtet hatte. Sie hatte unzählige Schnitte im Leibe. So hatte man es mit dem Kinde ebenfalls gemacht. Ich nahm das Kind in Behandlung und am nächsten Tag war es bedeutend besser. Die Frau war sehr glücklich. Leider brachte sie das Kind erst nach einigen Tagen wieder. Inzwischen hatte das Bein geblutet, nun hatte die Frau den Verband abgenommen und das kranke Bein mit Quecksilber eingeschmiert. Als sie dann das Kind brachte, war das Bein wieder sehr schlimm, und das Kind glühte vor Fieber. Ich hatte wenig Hoffnungmehr für das Kind, doch der Herr gab Gnade, daß es bald wieder hergestellt wurde. Ähnliche Fälle kann man oft erleben. Man muß sich deshalb viel Geduld und Weisheit von Gott erbitten, um immer ruhig bleiben zu können. Empfindlich darf man hier nicht sein, auch sich durch Schmutz und Ungeziefer nicht abschrecken lassen, denn letzteres ist den Kirgisen angeboren.
In der nächsten Zeit hoffe ich mich mehr dem Erlernen der Kirgisensprache widemn zu können, als es mir bisher möglich war. Es befriedigt mich nicht, nur die äußeren Wunden zu verbinden, ich möchte den armen Kranken auch gern etwas von der Liebe des Herrn Jesu sagen und sie auf die inneren Wunden hinweisen, welche ich ihnen nicht verbinden kann, für welche aber der Herr ihr Artzt sein will, wenn sie sich zu Ihm wenden.
Wie tief ist doch der Schade dieses Volkes, und wer ein Herz für die Not deselben hat, kann nicht gleichgültig dafür bleiben. Möchte der Herr auch mich immer mehr zubereiten zu einem brauchbaren Werkzeug in Seinem Dienst.

Frau Auguste Herhold.

   
Zuletzt geändert am 25 Mai, 2019