Eine Reise durch Mittelasien, von Kornelius Plett in der "Mennonitische Rundschau" in 10 Teilen vom 7. bis 28. Februar und vom 27. Juni bis 1. August 1934

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 7. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Durch Mittelasien.
Erinnerungen und Eindrücke von meinem Aufenthalt bei den Mennoniten.
Von Kornelius Plett, Calgary, Alta..
Es wird gewiß der großen mennonitischen Leserfamilie der Rundschau von Interesse sein, zu erfahren, wo die Mennoniten, die nach Mittelasien auswanderten, geblieben sind, wie sie sich wirtschaftlich auch geistlich entwickelt haben und wie es ihnen jetzt ergeht. Da Gott in seiner unsehbaren Vorsehung mir das Glück schenkte, fünf Jahre mitten unter der größesten Gruppe dieser Glaubensbrüder zu wohnen, so will ich versuchen, meine Eindrücke, die ich in dieser Zeit überkam, wiederzugeben.
Um von dem Mennoniten in Mittelasien zu sprechen, muß man sich 3 Ansiedlungen, die weit voneinander getrennt sind, denken. Die größeste derselben befindet sich etwa fünfzig Meilen von der Eisenbahnstation Aulie-Ata (zu deutsch heiliger Vater). Der Weg schlängelt sich das Tal hinab und durchschneidet eine der Gebirgsketten von denen die Ansiedlung umgeben ist. Dieser Durchschnitt wird von den Bewohnern kurz „Kopp“ genannt. Die Ansiedlung liegt in einem Tale das von der einen Seite durch das Alataugebirge und auf der andern Seite durch die Alexanderkette abgegrenzt ist. Die Spitzen des Alataugebirges sind mit ewigem Schnee und Eis bedeckt. Es ist eine gegend in welcher Gott die Schönheiten der Natur in verschwenderischer Weise verschüttet hat. So sage ich nach dem ich die Molotschna, Krim, Orenburg, Samara, Sibirien und teilweise auch Deutschland, England und Kanada gesehen habe. Wenn ich denke an die eisgekrönten Berge, an das mistische Rauschen der kristallklaren Wasserbäche, an den klaren wolkenlosen Himmel, der den größten Teil der Jahreszeit über das Tal gespannt ist und an die angenehme Windesstille, so ist es mir wirklich schade, das ich jene gegend verlassen mußte. Das Tal, in dem die Ansiedlung liegt, ist etwa 10 Meilen breit und hat eine schiefe Lage. Die Ansiedlung liegt nach Aussagen der Bewohner etwa 3,500 Fuß über dem Meeresspiegel. Sie besteht aus 5 Dörfern, wovon 4 hart aneinander liegen, das fünfte etwa 16 Meilen weiter ab, mit ungefähr 1500 Einwohnern. Es liegen in der Umgebung einige Dörfer von Lutheranern bewohnt, einige von Russen. Die andere Bevölkerung besteht aus Mohammedanern.
Die Ansiedlung hat in den 48 Jahren ihres Bestehens einen ziemlich guten Aufschwung erfahren, so daß sie in letzter Zeit wohl keiner der russländischen Ansiedlungen der Mennoniten nachstand. Die Wirtschaften hatten bis jetzt so bei 20 Des. (etwa 57 Acker) Land. Das ist ein kleines Quantum, so daß sie gezwungen waren den größten Teil ihrer Aussaat auf Land zu machen, das sie pachteten oder auf die Hälfte besäten. Aber dank der Bewässerung haben sie keine Mißernte gehabt, außer anno 1917 wo ihnen, bei der ungeordneten Zustände, die damals schon in Rußland herrschten, von Soldaten das Wasser abgedämmt wurde. Der Boden besteht aus gelbgrauen Lehm, dem sogenannten Bergstaub und ist auf Stellen steinigt. Er hat viel Stein und Eisengehalt in sich und ist daher sehr hart. Dieser Umstand hat dort anstatt den Spaten die große Hacke eingeführt. Ohne dieses Gerät kann man sich keinen Turkestaner denken. Die Niederschläge sind so wenig, daß das Land muß bewässert werden, anderenfalls will es nicht einmal Unkraut bringen. Wo aber gedüngt und bewässert wird verwandelt sich die Wüste in einen Garten. Neben der Landwirtschaft wird auch Viehzucht getrieben. Ja die Viehzucht ist wohl eine der wichtigsten Wirtschaftszweigen der sich in den letzten 2 Jahrzehnten besonders entwickelt hat. Man hatte für gutes Rassenvieh gesorgt, so daß oft aus den andern entlegenen Städten Leute kamen Zucht-Pferde und Kühe zu kaufen. Die Milch wurde zusammengeliefert und in Butter allermeist aber in Käse verarbeitet, der in weitester Umgegend sehr berühmt war. Bei vielen landlosen Familien waren es die Kühe, welche ihnen die Lebensunterhalt gaben. Ein anderer Wirtschaftszweig war die Schweinezucht, welche den Bauern bis zur Revolutionszeit viel Geld einbrachte.
Es wird auch etwas Gartenbau getrieben. Die Meisten hatten jedoch nur soviel gepflanzt als sie zum eigenen Bedarf nötig hatten. Obst gab es verschiedene Sorten namentlich Aepfel. In dem Garten des Onkels meiner lieben Frau Cornelius Wall, zählte ich einmal an 24 Sorten.
Meistenteils ist jeder Hof mit einem Lehmzaun umgeben. Längs der Straße und oft auch zwischen den Wirtschaften prangen in üppigem Wuchs die Kerzenpapeln. Die Häuser sind aus rohen Ziegeln gebaut und haben Dachspeicher um das Getreide vor Diebstahl zu schützen. Der Lehm ist dort so widerstandsfähig, daß die Häuser zwei Generationen überleben können. Es gibt sogar mehrstöckige Mühlen, die aus rohen Ziegeln gebaut sind und doch schon über 40 Jahre gestanden haben. Das Bauholz bezog man früher aus dem Gebirge auf einem sehr mühsamen Wege.

(Fortsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 14. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Erinnerungen und Eindrücke von meinem Aufenthalt bei den Mennoniten.
Von Kornelius Plett.
(Fortsetzung.)
Gegenwärtig baut jedoch fast ein jeder Bauer so viel Holz auf seinem Hof, als er zu Brand und sonstigen Bedürfnisse für seine Wirtschaft braucht. In den letzten Jahren bedurfte es aber jedesmal einer speziellen Erlaubnis von der Behörde, um einen Baum auf seinem Hofe zu fällen. Im positiven Falle mußte der Eigentümer sich dann verpflichten, gegen einen gefällten zwei zu pflanzen. Um sich vor dem herumtreibenden Vieh der Eingeborenen zu schützen, hatte man auch oft ein Saatfeld mit einem 50-60 Zoll hohen Lehmzaun umgeben. Als Brennmaterial wurde Holz und Torf verwandt (benutzt – E.K.). Das Stroh wird hauptsächlich zum Streuen der Pferde und Kühe verwandt um möglichst viel Dünger für das Land zu gewinnen. Um eine Deßjatine Land zum Einsäen des Kleesamens fertig zu machen, braucht es ungefähr 200-300 Fuder (altes Wort für eine Fuhre, Fahrt – E.K.) Mist. Das hält dann bis 10 Jahre vor. In der Verwendung von kulturellem Ackergerät sind die Turkestaner sehr bescheiden. Der zweischarige Pflug, Egge, Drille, Harkmähmaschine, Grasmäher und Pferdeharke, das ist alles, was sich dort nutzbringend verwenden läßt. Es gibt auf der ganzen Ansiedlung nur eine Dreschmaschine und die steht schon Jahre lang untätig. Die Dreschmaschine kann dort so gut entbehrt werden weil es in der Ernte fast nie regnet. Somit wird das Getreide mit dem viel billigeren Dreschstein gedroschen.
Es wäre noch manches Sonderliche aus dem Leben dieser Leutchen zu erzählen, aus ihrer Sprache, aus ihrer Eigenart, aus dem Gesellschaftsleben u.s.w., aber wir wollen zu dem andern Teil übergehen und etwas aus dem Gemeindeleben erzählen.
In geistlicher Beziehung teilten sich die Einwohner der Ansiedlung in 3 Richtungen. Die Mennonitengemeinde, die Allianz-Gemeinde und die Brüder-Gemeinde. Die Mennoniten-Gemeinde hat eine Reformation durchlebt, deren Ursachen mir jedoch aus dem Gedächtnisse geschwunden sind. Genug sie bestand darin, daß der größte Teil der Gemeinde die Flußtaufe annahm und dieselbe auch weiterhin lehrten, wiewohl ein Rest nicht im Fluße Getaufter in der Gemeinde geduldet wurde. Sie verbieten ihren Gliedern den Gebrauch des Tabaks und Brantweins und predigen Bekehrung und Wiedergeburt, und üben regelrechte Gemeindezucht. Sie nennen sich jetzt kurzerhand nach dem Namen ihres Dorfes „die Köppentaler Gemeinde.“
Die Allianz-Gemeinde unterschied sich von den andern in folgenden Punkten. In der freien Abendmahlsgemeinschaft, Fußwaschung und Handauflegung wurden nicht gehandhabt. Flußtaufe war nicht Bedinung zur Aufnahme als Mitglied. Und zuletzt in der Taufformel. Sie taufte nämlich nicht im Namen des dreieinigen Gottes, sondern im Namen Jesu auf seinen Tod.
Die Brüder-Gemeinde fanden wir in den selben Dogmen wie überall in Rußland, nur vielleicht etwas konservativer als die andern.
In den letzten Jahren hat ein Zusammenschluß der Brüder-Gemeinde mit der Allianz-Gemeinde stattgefunden. Dessen Hergang möchte ich etwas näher beschrieben. Vielleicht finden andere, die in ähnlichen Verhältnisse leben, darin einen Wink, wie man wirklich eins werden kann. Doch muß ich noch voraus schicken, daß auch vorher zu meiner Zeit wenigstens ein Zustand der Duldsamkeit herrschte, und die am Worte arbeitenden Brüder der drei Gemeinden auch in allen drei Gemeinden nicht nur zugelassen, sondern sogar eingeladen wurden. Durch diese gegenseitige Anerkennung und Duldsamkeit kann man sich immer näher, und die Frage einer gänzlichen Verschmelzung wurde immer öfter und reger erwogen und besprochen. Endlich wurden von Seiten der Brüdergemeinde Schritte zur Annäherung unternommen. Man bot der freien Gemeinde an, sie dürfte 2 Brüder aus ihrem Gemeinderat zu den Ratsitzungen der Brüdergemeinde als Teilnehmer senden, damit sie mit der Arbeit derselben mehr in Fühlung ständen. Letztere ging auf den Vorschlag ein. Nach kurzer Zeit erfolgte dann dasselbe Angebot von der andere Seite. Nach Verlauf von ungefähr 2 Monaten ging man einen Schritt weiter und öffnete die Türen der Gemeindeberatungen von beiden Seiten bis zur beratenden Stimme. So kam man sich durch Gemeinschaft immer näher. Nach weiteren 2 Monaten war die Frage des wölligen Zusammenschlusses so weit brennend, daß man zur Tat schreiten konnte. Man einigte sich nun zu einer gemeinsamen Beratung, wo man ein neues Statut ausarbeitete, woraufhin sich dann am Schlusse der Versammlung die 2 Gemeinden zusammenschlossen. Mancher aus beiden Gemeinden mußte ja zu Gunsten der Liebe und Einigkeit etwas von seinen menschlichen Meinungen aufgeben. Ich sage „menschliche Meinungen,“ denn Erkenntnis des Sohnes Gottes gibt es nur eine wahre, aber menschliche Ansichten viele. Und manchem zwang die spätere Erfahrung das Geständnis ab, daß doch vieles von dem Ertremen, das sie trennte, rein Menschliches gewesen sei. Gottes Segen ruhte fortan sichtbar auf den Zusammengeschlossenen. Ein neuer Eifer für Gottes Sache zeigte sich. Es gab sofort Zuwachs zur Gemeinde. Die Kasse füllte sich. Ein Bruder wurde angestellt auf Jahresgehalt als Reiseprediger. Eine oder 2 Sonntagskutschen wurden eingerichtet, die die Mittelosen, Witwen, Gebrechlichen u. Alten von weit ab sonntäglich zur Versammlung holten und auch wieder abfuhren. Der Jugendgottesdienst war gut organisiert, so daß man ringsum Wachstum vernehmen konnte. Dies geschah anno 1927. Nachher wurden auch einige versuche gemacht, mit der Köppentaler-Gemeinde näher zusammen zu kommen, doch hat es bis heute keine wirklichen Resultaten gegeben. In diesem Zustande, wie ich ihn oben geschildert habe, verließen wir die Ansiedlung im Mai 1929, als wir unsere Ueberseereise antraten. Weiter kann ich von dort keine Daten angeben. Diese Leute haben dort in der stillen Ecke von Mittelasien ziemlich abgeschlossen von den andern Kolonien gelebt. Manche Eigenart fällt einem beim ersten Besuche auf. Da ihre Landessprache die Kirgisische ist, so haben sie manche Worte derselben in ihre Sprache aufgenommen. So hört man dort die große Hacke, die man anstelle des Spatens gebraucht, niemals mit dem deutschen Namen „Hacke,“ sondern immer „Kettmenn“ nennen. Der Wassergraben wurde stets Arök genannt u.s.w. Stellte man dem asiatischen Mennonit eine Frage, die er negativ beantworten wollte, so sagt er in den meisten Fällen nicht nein, sondern knallte mit der Zunge, eine Sprachformel, die meine liebe Frau und ich in den 5 Jahren nicht erlernt haben. Unsere Jungens verstanden dagegen dieses eigentümliche Geräusch schon meisterhaft. In der physischen Arbeit fand ich die Turkestaner Mennoniten  mäßiger als an anderen Ortschaften, außer in einer Beziehung, da waren sie einfach unbarmherzlich gegen sich selbst, nämlich in Säcke tragen. Man erwarb die Säcke meistenteils von den Kirgisen. Dieselben waren von groben Ziegen- und Pferdehaaren und für Kameltransport bestimmt und hatten oft das Doppelmaß eines gewöhlichen russischen Sackes. Also mit einem Inhalte von 350-400 amerikanischen Pfunden. Mit dieser Last quälte sich ein Mann die Treppe hinauf bei der Mühle oder auch zu Hause auf dem Boden.
Aber trotzdem man in der Arbeit mäßig war, blieb doch noch viel Zeit zu geselligem Verkehr. Denn das Wetter ist in jener Gegend fast so, wie man es wünscht. Die Geburtstage wurden pünktlich gefeiert. Ja oft schon die der Kinder. Die Gottesdienste wurden regelmäßig besucht. Selbst in der Ernte blieb Zeit zu Bibel- und Gebetstunden. Man fühlte sich unter Leuten, die die Gemeinschaft liebten und pflegten. Auch zeigten sie einen ausgeprägten  Missionssinn und nahmen sich reichlich der Armen an. Aber eine Sünder war so ausgeprägt, daß man mit einigen wenigen Ausnahmen sagen konnte, sie war allgemein. Und das war borgen und nicht bezahlen.
Anno 1931 erfüllten sich 50 Jahre seit der Gründung dieser Ansiedlung. Von den Personen, die die Reise dorthin als verheiratete mitmachten, hat meines Wissens nur einer dieses Jahr überschritten, nämlich Onkel Herman Epp. Der Grund der Ansiedlung aus der alten Heimat in diese Steppe war wohl ein doppelter. Der erste Grund war, um der Wehrpflicht zu entgehen, der andere einen Bergungsort zu finden vor dem kommenden Antichristen. In beiden Fällen sind sie nicht ganz fehl gegangen. Denn der Antichrist ist in den ersten 50 Jahren nicht gekommen. Und in der Wehrpflicht sind sie bis zu Anfang der Sowiets auch unbehelligt geblieben. Aber auch nach einer andern Seite hin haben sie in einem Bergungsorte gelebt. Man nannte diese Stätte gewöhlich „die stille Ecke“ in Mittelasien. Aber sie war es auch. Der Geist der Welt und der Eitelkeit hatte sich dort nicht so einschleichen können wie in manchen anderen Kolonien Rußlands. Von dieser Tatsache wurden wir die ganze Zeit unsers Weilens dort überzengt (überzeugt? – E.K.).  Wir haben auch von anderen gehört, deren Urteil sonst für nüchtern gehalten wurde, und die die Kolonie vor uns besucht hatten, daß sie nirgends so fromme Menschen gesehen wie in Turkestan. Doch nach dem die Sowietregierung sich dort wie überall mit ihrer Sondererziehung aufgedrängt hat, ist manches anders geworden. Es hat sich gezeigt, da´nicht alles Gold war, das gelb schien. Doch noch in einem weiteren Sinne ist die Ansiedlung ein Bergungsort gewesen. Und zwar seit der Zeit der Revolution sind viele ihrer Glaubensbrüder aus anderen Kolonien gekommen und haben dort Zuflucht, wenn auch nur zeitweilige gefunden, vor Hunger wie auch vor dem Verfolger.
Ich will nicht unterlassen, noch auf eine edle Tat dieser Leute hinzuweisen. Als in den Hungersjahren so viele von den Mohammedanern umkamen, wurde von den Mennoniten eine Küche aufgemacht in einem der Dörfer, wo täglich 100 und mehr Mohammedanern gespeist und so vom Hungertode gerettet wurden. Ich glaube, diese großmütige Tat hat später mit gesprochen, als einige Russen und Lutheraner ausgesiedelt wurden, daß die Mennoniten davon verschont blieben.
Ja bis auf den heutigen Tag sind die Verhältnisse dort noch immer erträglicher, als in irgend einer andern mennonitischen Kolonie Rußlands.
Was nun uns persönlich anbetrifft, so haben wir dort viel Liebe und Freundlichkeit genossen, so daß wir Turkestan mit den lieben Geschwistern im Herrn noch lange nicht vergessen können. Mit was für einer Hingabe sie uns unterstützt, mit welcher Geduld uns getragen, mit welcher Zärtlichkeit uns ermahnt, und mit welcher Aufmerksamkeit uns zugehört, das ist uns an keinem zweiten Ort in unserem Leben wiederfahren, so daß wir die Zeit, die wir dort zugebracht haben, für die glücklichste in unserm Leben rechnen. Und es berührt uns jedesmal aufs neue schmerzlich, wenn wir Nachricht bekommen, daß wieder eine Gruppe Brüder verbannt oder eingekerkert worden ist.

(Fortsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 21. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Erinnerungen und Eindrücke von meinem Aufenthalt bei den Mennoniten.
Von Kornelius Plett.
(Fortsetzung.)
Die Geschwister gaben uns auch ein Sprichwort mit 1. Kor. 15, 58 als Gruß an alle überseeische Kinder Gottes, welches ich hiermit erfüllen möchte.
Die zweite Gruppe der Mennoniten haben sich etwa 200 Meilen südöstlich von der ersten niedergelassen. Diese Ansiedlung datiert vom Jahre 1924 und hat 2 Dörfer mit ungefähr 250 Einwohnern, welche auf der andere Seite der Alexanderkette am Fuße eines Ausläuferberges liegt. Sie hat ihren Namen nach der nahen Stadt Pischpeck, die jetzt Hauptstadt der Kirgisenrepublik ist, erhalten, und zwar die Pischpecker Ansiedlung, wiewohl die Dörfer ihre Eigennamen haben. Diese 2 Dörfer müssen als ein Zweig der erstgeschilderten Gruppe angesehen werden, denn es erhalten mit einigen wenigen Ausnahmen nur solche ein Anseidlungsrecht, die in der ersteren Bürger waren. Das Land ist dort sehr ertragsam und wird auch bewässert. Aber trotzdem waren die Lebensbedingungen in all den Jahren sehr schwer, weil es meistens jüngere und zudem mittellose Leute waren. Die Muttergemeinde hat denn auch nicht geringe Opfer aufgebracht, um das Leben zu erhalten, so wie den Wirtschaftsstand dort zu entwickeln. Man hatte gute Hoffnungen für die Entwickelung dieser Kolonie, weil sie nahe am einem Kurorte lag, der guten Absatz für Farmprodukte gewährte. Aber wo erst die Sovietregierung herrscht, geht alles der Verwüstung entgegen.
In geistlicher Beziehung teilten auch hier die Bewohner sich anfänglich in 3 Richtungen. Als ich zu Angfang 1929 diese Dörfer besuchte, waren sie aber bis auf einige Familien durch die tatkräftige Arbeit des lieben Bruders Peter Bergen, früher Schöntal, Sibirien, in eins zusammengeschmolzen und segelten unter der Fahne der Brüdergemeinde. Trotz all der Armut hatten sie Schule und Bethaus gebaut, und es war eine wahre Lust, diesen aufmerksamen Leuten mit dem Worte zu dienen.
Die dritte und kleinste Gruppe der Mennoniten in Mittelasien lebt in Chiva. Der Weg dahin geht per Wagen, dann per Eisenbahn, per Schiff und zuletzt noch mit Kamelen. Es ist die Gruppe, die geleitet von ihrem ursprünglichem Führer Klaas Epp dorthin geführt wurde. Die Geschichte dieses Völkleins ist recht inhaltsreich und lang. Ich will mich jedoch in meinen Ausführungen beschränken auf den Bericht eines Köppentaler Bruders, der im Jahre 1928 von einem Besuche von dort zurückkehrte. Von den wilden Wüstenbewohnern wiederholt ausgeplündert, fanden sie zuletzt Aufnahme und Schutz bei einem Mohammendanischen Fürst, der sie in seinem Gartenstück ihre Wohnungen aufrichten ließ, wo sie noch heute leben. Nur durch eine Bretterwand getrennt, stehen die Wohnhäuser aneinander an der Innenseite der Gartenmauer. In der Mitte des Gartens befindet sich Bethaus und Schule. Der weitaus größte Zweig der Beschäftigung ist das Handwerk. Die Bodenbearbeitung ist dort sehr kompliziert. Auch ist das Klima sehr heiß. Ein Reisender von der Gegend erzählte mir, daß ein Ei im Sand verscharrt in der Mittagssonne ausgesetzt, nur 3 Minuten Zeit gebrauche um zu backen.
Auch hier teilt sich die kleine Gruppe in 2 Teile, der Glaubensansichten halber. Und zwar die größere Gruppe nennt sich die Mennonitengemeinde. Aber sie ist so konservativ, daß der Bruder, der als Prediger der Mennonitengemeinde von Köppental zu ihnen gesandt, nicht zum Worte zugelassen wurde aus Furcht, er könnte etwas von Bekehrung sprechen und Unruhe in den Herzen der Jugend bewirken und Störung in den liturgischen Gottesdienst bringen. Auf das Drängen der jüngeren Gemeindeglieder wurden am nächsten Tage nach Schluß ihres Gottesdienstes doch dem Besucher das Recht zu sprechen gegeben. Aber nicht von der Kanzel. Welch ein Zustand! Aeußerlich die heiligste Frömmigkeit und doch Furcht vor dem Worte Bekehrung und Wiedergeburt.
Die überwiegend kleinere Gruppe bei Chiwa hält noch immer fest an den Grundsätzen von Klaas Epp. Er hat nämlich bei seinen Tode verheißen, er werde bald wiederkommen, und die ihm Getreuen mit sich führen. Und so warten denn die betörten Leute noch immer auf seine Wiederkunft. Sie haben keine Gemeinschaft weder geistliche noch geschäftliche, weil sie dieselben alle für abgefallen betrachten. Sie hatten damals auch den Besuch nicht angenommen. In politischer Hinsicht leben die Chiwesen von allen Mennoniten Mittelasiens am meisten unbehelligt. Obzwar auch dort Sowiets sind, so haben sie immer noch nicht festen Fuß gefaßt. So das anno 1928 noch das Kaiserbild an der Wand hing.
(Nachbemerkung, sollten andere deutsche Blätter interessiert sein, so dürfen sie kopieren.)
Meine erste Missionsreise nach Taschkent und Umgegend.
Die Turkestaner sind sehr sparsam mit ihren Berichten, und daher dürfte es den lieben Lesern der w. Rundschau und der w. Redaktion derselben nicht, verdrießen, wenn sie mal für einige Minuten ihr Auge und Ohr dieser stillen Ecke des großen Sowietbundes zuwenden.
Ich möchte eine kurze Reise mit dem leser unseres Blattes unternehmen, aber diesmal nicht in mennonitische Kolonien, doch aber nach einer Ansiedlung Deutschsprechender. Schon wiederholt erhielt ich die Einladung, hinzukommen und ihnen den „Heilsplan Gottes“ zu erklären. Ich möchte der Einladung folgen und du, lieber Leser, sollst mich begleiten, damit du dann deiner Gemeinde erzählen kannst, wie wert Besuche sind. Um Pelz und Filzstiefel brauchst du dich nicht bekümmern, denn wir bleiben auf dieser Reise in Turkestan. Wir dürfen diesmal auch nicht Arös umsteigen, sondern wir fahren direkt bis Taschkent. Dort steigen wir aus dem Eisenbahnzuge aus und fahren noch eine Station mit der Straßenbahn, dann noch ein wenig zu Fuß, und wir treten in eine kleine Hütte ein. Es sind Leute, die früher 9 Jahre in Kanada und noch sogar in Winnipeg gelebt haben. Geschwister Trotners. Vielleicht sind sie dir sogar bekannt. Denn hier waren sie zum Glauben gekommen. Grüße werden gewechselt: „So bist du doch endlich da! Wir haben aber schon so gewartet!“ „So, dann komme ich auch nicht unerwartet, wie?“ „Nein, nein, durchaus nicht.“
Während uns ein einfaches Tischchen gedeckt wird, wurden vergangene Erlebnisse und Zukunftshoffnungen zu einem harmonischen Ganzen zusammengeschweißt. Wir sahen uns zwar das erstemal in dieser Gotteswelt. Meinem Begleiter wird’s wohl ums Herz, und nach einer Pause sagt er: „Weht hier aber eine Himmelsluft. Wie verschieden sind doch die Zustände in den Familien. Hier möcht ich sein!“ Abends füllt sich das kleine Stübchen mit Zuhörern, die schon von unserer Ankunft erfahren haben. Da wird die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenlande vorgelesen. Nachdem sie ein wenig Licht von diesem Strom empfangen und ein wenig Weisheit von den Weisen gelernt haben, gehen sie nach Hause, um mit Hilfe ihres eigenen Sterns als Weise zu handeln.
Des anderen Tages kommt ein Fuhrwerk vor und bringt uns nach dem 30 Werst entlegenen Dorfe Konstantinowka. Vor dem Hofe des Leitenden der Baptisten, Daniel Wermai, machte es Halt. Er steht gerade mit etlichen Brüdern vor dem Tore. „Du bringst uns doch nicht Br. Plett?“ „Ja wohl“ „Gott sei Dank.“ Wir fragen: „Kommen wir recht?“ „Ja gerade recht! Die Versammlung ist schon zusammen. Bitte hier noch eine Tasse Tee, und wir gehen.“ Das Lokal war nur bis zur Hälfte gefüllt. Joh. 3, 16 zeigte der Versammlung, was Gott getan hat, und was wir zu tun schuldig sind. Sonntag morgen trat ein fleckenloses Muster vor die Herzen der Versammelten in der Gestalt Daniels, und mancher Entschluß wurde gefaßt, demselben zu folgen. Nachmittag besuchte die Versammlung das Grabmal des Königs Saul und fand dort die Inschrift: „Auserkoren und dennoch verloren.“ Am Abend begann dann die Erklärung des Heilsplanes vermittels einer selbstgezeichneten Karte. Das Lokal füllte sich. Unter den Besuchern war auch ein ziemlicher Teil, die sich Kirchenbrüder nannten. Als Letztere nun merkten, der Raum sei zu klein für beide Gemeinden, dann boten sie ihr Bethaus an, weil es ziemlich größer und räumlicher sei, als das der Baptisten. So wurde denn für die nächsten Abende die Versammlung dorthin verlegt. Hier wurden im Verlaufe dieser Abende bei einem manchen die Vorurteile umgestoßen. Am Boden lagen Scheinstützen, Meinungshäuschen und derg.m. Manch eine verkehrte Auffassung der Heilswahrheiten ist für immer zu Grabe getragen. Dieses ist meinem Begleiter besonders auffällig, es ist ihm auch sonst noch manches aufgefallen. Darum wollen wir ihn jetzt etwas näher mit dem Ursprung der Gemeinde bekannt machen. Wir rufen dazu den Leiter der Gemeinde und lassen ihn seine Geschichte selbst erzählen. –
Als ich einmal konfirmiert wurde, mußte ich 3 Verse von dem Liede: „Befiel du deine Wege“ – auswenidig lernen, und daraufhin wurde ich dann als würdiges Glied in der Gemeinde erklärt und bekam das Abendmahl. Und wie mit mir so war`s mit vielen. Jahre vergingen. Ich führte ein ausschweifendes Leben. Eines Tages bemächtigte sich meiner ein herzbeklemmendes Gefühl, das ich garnicht verstehen konnte. Es wurde immer stärker und gab mir weder Tag noch Nacht Ruhe. Ich wollte auch schon beten, wußte aber nicht, was ich beten sollte, bis mir ein Gebetlein, das Mutter mich gelehrt, in mir wach wurde, welches ich dann in kindlicher Einfalt betete. Doch genügte auch das nicht mehr, ich schrie zu Gott. Ich fing an, Gottes Wort zu lesen, bis ich zum Frieden kam. Ich fing an, davon zu den Bessergesinnten zu sprechen und fand, daß mehrere solche Erfahrung gemach hatten. Jetzt fragten wir uns, wie jetzt weiter? Wir sahen ein, daß wir nicht auf dem richtigen Wege waren, aber was zu tun, wußten wir nicht. Wir wandten uns an unseren Pastor, aber der hatte für unsere Erfahrungen und Bedürfnisse kein Verständnis. Zeiten vergingen darüber, da traf es sich einmal, daß ein russischer Bruder bei uns nächtigte. Bei der Unterhaltung mit ihm merkten wir, daß er gerade so dachte wie wir, in seiner Rede war derselbe Ton, und in Herzen dasselbe Gefühl wie bei uns. Als er uns nun noch sagen konnte, daß er einer Gemeinde angehöre, die auch so denke und auch so handele, da blitzte ein neuer Lichtstrahl durch unsere Seelen. Jetzt hatten wir zwar ein neues Thema zum Gespräch, aber wie weiter handeln, war immer noch nicht klar. Die Trennung von der alten Kirche schien uns gerade zu schrecklich. Endlich waren wir soweit, daß sich etwa 30 Personen einigten, aus einer russischen Baptistengemeinde Brüder zu rufen, die uns taufen sollten und eine Gemeinde organisieren helfen. Die Brüder kamen, prüften unsern Glauben, tauften uns und organisierten einigermassen, fuhren dann wieder fort und überließen uns dem Schicksale.
(Fortsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 28. Februar 1934, Seite 9. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Durch Mittelasien.
Erinnerungen und Eindrücke von meinem Aufenthalt bei den Mennoniten.
Von Kornelius Plett
(Fortsetzung und Schluß)
Wir hatten niemand, der uns die Schrift auslegte, niemand, der uns in Gemeindezucht unterwegs oder auch uns belehren konnte über das „was lieblich ist und wohllautet.“ Wir hatten wohl die Kraft der Jugend, aber nicht des Alters Rat und Tat. Darum werdet ihr manches finden, was euch Wunder nimmt. Wir haben aber ein Herz bewahrt, uns belehren zu lassen, und dazu haben wir Euch gerufen.
Die folgenden Tage d. Woche wurden auf folgende Weise verbracht. Vormittag lernten die Brüder, die am Wort arbeiten, welches nebenbei bemerkt, der größte Teil der männlichen Glieder der Gemeinde ist, das A.B.C. des Predigerberufs. Wohl das erstenmal wurde den Brüdern gesagt, daß sie sich auf ihre Predigt vorbereiten müßten. Wie viel neue Winke gab es da, und wenn ich auch nur das allerwenigste bieten konnte, so gehe ich doch nicht fehl, wen ich behaupte, daß bei dieser Art der Beschäftigung den Brüdern die Biebel ganz neu wurde. Nachmittag hatten auch die Schwestern zutritt. Es wurden dann längere Abschnitte der h. Schrift verhandelt, z.B. Gleichnisse oder auch Auszüge aus den Briefen. In dieser Woche wurden die Tage einer Woche in Konstantinowka verbracht. Die Versammlungen füllten sich immer mehr; und gar oft hörte man sagen: „Ach wie verlaufen die Stunden so schnell, wir haben die Arbeitszeit noch zu kurz bestimmt.“
Zum nächsten Sonntage gings zu einem etwa 8 Kilometer entlegenen Dorfe. Auch hier kamen uns die Kirchenbrüder so weit entgegen, daß sie uns ihr Versammlungslokal auf 5 Tage zur Verfügung stellten. Sie hatten aber die Bitte, daß der Gottesdienst nach ihrem Brauch im Namen des dreieinigen Gottes eröffnet und mit dem „Vaterunser“ geschlossen werden möchte. Ein Gebrauch, der mir bis dahin fremd gewesen war. Es sei noch bemerkt, daß zwischen letzteren und ein Baptisten ein Zustand besteht, wie wir ihn, Gott sei es geklagt, auch oft in mennonitischen Kreisen zwischen Mennonitengemeinde und M.Brüdergemeinde finden, daß man sich überhebt, verachtet und sogar bekämpft. So war es auch hier. Und nur die Neugierde zum Heilsplan hatte sie bestimmt, uns das Haus zu öffnen. Sie hatten aber einen Beschluß abgefaßt, daß niemand von ihren Predigern sich in diesen Versammlungen aktiv beteiligen dürfte. Nun machte es sich aber ganz wunderbar, daß gerade „sie“ dieses Verbot übertreten mußten. Auch hier wurde die Darstellung des göttlichen Erlösungsplanes für die Abende verlegt. Wenn ich dann mit meiner Arbeit fertig war, welches für gewöhnlich 2 Stunden nahm, blieb die ganze Versammlung zusammen, als ob sie noch mehr hören wollte. Aus Mangel an Raum waren die arbeitenden Brüder auf die Anhöhe des Altars genötigt worden. Br. Daniel Werwai, der Leitende der Baptisten, merkt die Gesinnung der Versammlung und wendet sich an einen der erwähnten Brüder mit folgender Bitte: „Na sage doch noch etwas zur Versammlung, du siehst ja, sie wartet darauf.“ Doch der zögert. Dann wendet Br. Werwai sich an die Versammlung mit den Worten: „Ich denke, der Bruder sagt uns noch etwas, nicht wahr?“ „Na ja“ – alle einverstanden. Und so mußte er denn doch hervor. Den nächsten Abend ein Andrer, bis zuletzt der Leitende am letzten Abende unter Händeringen folgendes Geständnis ablegte: „Ihr wißt ja, Brüder, daß wir beschlossen hatten, hier nicht zu sprechen. Aber ich muß gestehen, daß ich heute ganz anders denke. So wie wir gestanden haben, kann`s nicht länger bleiben.“ Er schloß zusammenfassend: „Ich kann nur sagen, was hier an diesen Abenden gesprochen worden ist, ist wie aus meinem Herzen u. ich sage ja und amen dazu.“ Dies ein Beispiel von vielen zeigt meinen Begleiter, wie das Wort nicht gerade erweckend, so doch aber verteifend (? – E.K.) wirkte.
Von hier  ging es Freitag morgen nach dem 12 Kilometer seitwärts gelegenen Dorf Gornoje, welches zur Hälfte rissisch und deutsch angesiedelt ist. Die kleine Gruppe Geschwister fanden wir hier noch mehr vernachlässigt in der Erziehung als in den andern 2 Dörfern. Nachmittag sahen wir hier an der Hand von Apostg. 27, 25 den Glauben während des Sturmes. Abends befanden wir uns mitten in der Versammlung auf dem Berge Karmel. Wir sahen uns dort die dreiklassige Versammlung etwas näher an. Dann die Beschäftigung dieser Versammlung und das glänzende Resultat, welches dieselbe zur Folge hatte. Und es wirkte auch hier Früchte. Ein Mann, der den Herrn verlassen hatte, entschloß sich, wieder ihm zu dienen. Ein anderer sagte: „der Mann hat recht gepredigt! Auf beiden Seiten hinken ist ein schweres Leben, daher will ich von heute an dem Teufel ganz dienen“, darauf trank er bis zur Bewußtlosigkeit. Sonntag in aller Frühe trafen von allen drei erwähnten Dörfern die Geschwister in Konstantinowka ein, um hier vormittags über die Gefahr des Zweifels zu hören, nachmittags das Abendmahl und den Abschiedsabend zu feiern. Am nächsten Tage vor meiner Abreise waren noch recht viele wieder erschienen und es wurde nun noch ein Lied eingeübt, das uns schon längst bekannte: „Wir weilen bei dem Lebenswasser.“ Ein junger Bruder, der sich ein längeres Andenken dieser Tage  bewahren wollte, machte noch eine photographische Aufnahme, und der Wagen setzte sich in Bewegung, der uns der nächsten Bahnstation entgegenbringen sollte.
Jedesmal, wenn man mit einem Menschen oder einer Gruppe derselben in Berührung kommt, lernt man etwas. Man sieht dann, wie es ist und wie es nicht sein sollte. Und auch diesmal will ich erzählen, was mir bei dieser Besuchsreise auffiel. Außerordentlich gefiel mir das viele Singen in der Gemeinde. Entbehren sie auch eines Chors in Ermangelung eines Dirigenten, so tut die Gemeide um so mehr ihre Pflicht, den Gesang zu pflegen. Es herrscht da keine unheimliche Totenstille in den Versammlungen, wie das oft in unseren Gemeinden, wo kein Chor ist, der Fall ist. Weiter gefiel mir die freundliche Art und Weise der Geschwister im gegenseitigen Umgang mit einander. Ferner gefiel mir das viele Fragenstellen über biblische Wahrheiten, welches manche geistige Anregung gab. Ich weiß nicht, sind unsere Mennoniten ein so denkfaules Volk, oder ist ihnen schon alles aufgeschlossen, denn bei uns findet man durchgängig das Gegenteil. Auch die Freigibigkeit der Gemeinde durfte als Muster gelten. O wie oft schon hat sich der Geist Gottes von einer Gemeinde zurückgezogen wegen des Geizes vieler seiner Bekenner. Sie haben den Herrn beraubt beim Zehnten und beim Opfer. Sie dachten jedesmal: schon wieder eine Kollekte. Gott ist beschimpft worden durch filzige Gaben. Was man sich geschämt haben würde, einen irdischen Freund zu geben, hat man Gott dargebracht. Kennst du nicht auch solche Leute, die in einem Jahre nicht mehr für die Sache des Herrn geben, als ihnen die Weihnachtsleckerbissen kosten? In diesen Stücken fand ich hier ein Muster. Auch die Bereitwilligkeit, sich belehren zu lassen, dürfte wohl noch Erwähnung finden. Nun noch einiges Tadelnswerte. Da die Meisten weder schreiben noch lesen können, so sang man die Lieder meistens auswendig; und hier bemerkte man, daß sie beim Singen sehr gedankenlos oder gedankenvoll waren, d.h. nicht dabei, so daß es vorkam, daß ein und derselbe Vers im Liede dreimal wiederholt wurde, ohne daß man es bemerkte. Das zweite Uebel, das ich bemerkte, war das Vorschreien der Lieder. Eine Methode, die ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Die Gemeinde sang das Lied ohne Unterbrechung und einer schrie den Text in den Gesang hinein, so daß von diesem oder jenem nicht viel zu verstehen war. Einen andern groben Fehler sah ich in der Personnenvergötterung. Ich will das nur andeuten. Die Geschwister kommen in die Versammlung und setzen sich auf die hintersten Plätze mit der Absicht, nach vorne genötigt zu werden. Werden sie dann genötigt, so ist`s ihnen noch nicht gleich, wer es tut, gehen endlich einige Plätze höher hinauf, um nochmal weiter genötigt zu werden. Und dieses auch noch während der Gottesdienst schon eröffnet ist. Weiter will ich nichtdarauf eingehen. Das größte Unglück sah ich aber darin, daß den Geschwistern die Kunst abging, ihre Kinder zur Teilnahme am Gottesdienst anzuhalten. Und nun lieber Leser, der du mich auf dieser kurzen Reise begleitet hast, gehe hin, erzähle deiner Familie, deiner Gemeinde, was dir gefallen oder nicht gefallen hat. Ich habe die Verheißung Matth. 19, 29 auf dieser Reise reichlich erfahren dürfen. Es sind nun 4 Jahre her, seint meine Augen aufgehört haben, in die von Freude strahlenden Angesichter zu blicken, doch träumen die Sinnen noch oft von genossenem Glück. Die Seele schwimmt in Freuden, eingedenk der verlebten tage. Die vielen Gegenswünsche, Händedrücke und Fürbitten finden noch oft ein lebhaftes Echo im Herzen. Ehre sei dem Herrn, der uns diese Gegenstage machte. Möge nun für ihn Frucht der Ewigkeit erwachsen.

Ende.

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 27. Juni 1934, Seite 10. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett, Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.

Es war am 21. Januar 1928, etwa um 9 Uhr morgens, als die kleinen dunkelgrauen Augen meiner lieben Frau, das letztemal vor dieser langen Reise, mich ins Angesicht schauten und in ihrem außergewöhnlichen Glanz verrieten, daß unter ihnen ein liebewarmes Herz klopfte. Die durch Lebenskummer nur zu früh gegrabenen Falten des Gesichts zeigten diesmal unzweideutig, wie tief in der Seele Sorge, Furcht und Sehnen mit der Zufriedenheit um d. Sieg kämpften. Es schien, als wollte der letzte Kuß mir sagen: Nur um Jesu willen lasse ich dich, weil er sich für mich gegeben. Anders schien es mir bei den Kindern zu sein. Den kräftigen Händeschlag wollte ich so verstehen, als hätten sie eine doppelte Freude an meiner Reise: einmal, daß sie für lange Zeit der Aufsicht des Vaters entzogen seien und zweitens, daß in Aussicht gestellte Geschenk bei der Rückkehr. Trennungsgefühle sowie väterliche Sorge für die lieben Meinen wollten noch lange den normalen Gang meiner Gedanken stören, so daß ich Mühe hatte, meine Mission an dem Fuhrman Peter A.Wall zu vollenden. Wir kamen erst um 8 Uhr Abends in Bogoslowka an. Ich hatte mich mit keiner Adresse versehen und wußte somit nicht wohin. Mein Fuhrmann ebenfalls nicht. Nun führte uns der Herr in das Haus einer Frau Quiring, deren Mann nicht gerade zu Hause war. Nachdem wir uns am Tee erwärmt, gingen wir zum Leitenden der Gemeinde, Heinrich Sukkau, um meine Ankunft zu melden. Ich traf da gerade eine Gruppe Jungfrauen beisammen, die Handarbeiten herstellten, und da sie am Schlusse ihrer Stunde angelangt waren, bekam ich die Aufgabe, mit ihnen ein Wort Gottes zu lesen. Beim vorlesen von Matth. 26, 36-46 trat eine Totenstille ein, und der Ausdruck tiefen Ernstes lagerte sich auf allen Gesichtern der Anwesenden. Sonntag morgens versammelte sich eine kleine Gruppe von Zuhörern zum Gottesdienst. Der treue Herr, des ich bin un dem ich diene, gab mir ein Wort zur Betrachtung, welches, wie ich spüren durfte, nicht ohne Segen blieb. Gleich nach dem Gottesdienst fuhren wir weiter der Stadt Aulie-Ata zu. Es schneite wie aus dem Sack. Ich dem Hause der Geschw. Joh. Bold begegnete ich vielen freundlichen Angesichtern. Waren doch 5 Mon. Verflossen, seid wir uns das letztemal gesehen. Noch am Abend desselben Tages weilten wir im Bethause der Baptisten russischer Sprache. Ich hatte nun Gelegenheit, 4 Abende mit dem Worte zu dienen. Am Tage durfte ich einige Geschwister in den Häusern besuchen, die leiblich und auch geistlich krank waren. In einem Hause, wo der Mann gläubig, die Frau aber noch ungläubig war, und wir ein ernstes Gespräch miteinander hatten und uns dann knieend zum Gebet vereinigten, schrie die Frau derart im Gebet zu Gott, daß ich fürchtete, sie könnte in eine Eckstase geraten. Während meines Weilens in dieser Stadt wurde ich wiederholt an Psalm 12, 2-5 erinnert. Diese Gemeinde, Gott sei es geklagt, ist ihrer Umgebung kein Muster gewesen. Man sagt wohl, die Uebertretung sei vergeben, die Missetat gesühnt und die Sünde bedeckt, dessen ungeachtet wurde mir doch alles erzählt, was geschehen war und von jeder Seite suchte man sich zu rechtfertigen. Man litt noch vollständig an der Wunde. Das Amt des Leitenden ist in dieser Gemeinde der Reihe nach ausgeteilt worden. In diesem pathologischen Zustande beschäftigten sie sich nun mit der Frage der Frauenemanzipation. Auch die Erziehung der Kinder in christlichem Sinne lag sehr im Argen. Ich denke und sage immer, wo man den Wert und die Aufgabe der Kindererziehung richtig erkannt hat, da werden sich die Schwestern nie drängen zum predigen. Ich glaube weiter behaupten zu können, daß ein großer Teil der Schuld, des zerütteten Zustandes der Gemeinde auf das vernachlässigte Kämmerleinsgebet zurückzuführen ist. Wenig Liebe, wenig Hochachtung gegeneinander. Viel Vorrat von Eigenliebe, Selbstgerechtigkeit, schwach in Erkenntnis, Mangel an Interesse, stark an Eigenwille. Das ist im Zusammenhang mein Empfinden von der Auliatiner Gemeinde.
Als ich 4 Tage daselbst verweilt hatte, wurde mir, nach ihrem Gebrauch, das notwendige Reisegeld bis zur nächstliegenden Gemeinde eingehändigt. Ich war also auf dieser Reise ein doppelter Gesandte. Die Mennoniten Brüdergemeinde hatte mich gebeten, diese Arbeit zu übernehmen, weil sie aus Dankbarkeit dafür, daß sie viele Jahre unter diesem Volke im Frieden hatten leben dürfen, etwas für dieses Volk tun wollten. Und das Beste, was sie für sie tun könnten sei doch, ihnen das Evangelium zu bringen. So versorgte denn die Gemeinde meine Familie daheim und ich fuhr für die Gemeinde mit der guten Botschaft hinaus.Doch als Prediger der Mennoniten hätte ich wohl an wenig Orten Zutritt gehabt, weil die meisten russischen Gläubigen sich Baptisten nennen. So stellte denn die Gemeinde mich dem asiatischen Baptistenbunde zur Verfügung und dieser rüstete mich mit den notwendigen Dokumenten aus, an denen man in Rußland nie arm sein durfte, und finanzierte die Reise. Da der Bund nun meinte, die Gemeinden müßten im Gebet erst erzogen werden, so wollte Er ihnen auch Gelegenheit dazu geben.
Fünfzehn Stunden Eisenbahnfahrt brachten mich nach dem 250 Kilometer südöstlich gelegenen Pispeck (später Frunse und heute Bischkek – E.K.). Auf dem Zuge traf ich mit Br. J.Barkman zusammen und wir schlossen Reisegesellschaft. Ein einfaches Fuhrwerk brachte uns in ein Auffahrtshof, von wo aus wir dann die russischen Geschwister aufsuchten. Bei einem Br. Karl Soweljewitsch Bondarunko fanden wir vorläufig freundliche Aufnahme. Obzwar die einzige Stube, die er bewohnte, nur sehr klein war, so diente sie doch als Gaststube, Küche und Kammer. Und obzwar seine Familie aus 6 Seelen bestand, so hatte doch auch noch das junge Kalb ein Plätzchen in dieser Stube. Das einzige Bett, nach kleinrussischem Typus gebaut, das er sonst mit seiner Frau benutzte, wurde für Br. Barkmann und mich zurecht gemacht. Wie er geschlafen haben mag, weiß ich nicht. Als nach einigen Tagen die Brüder für uns ein anderes Quartier gesucht hatten, fühlte der Gastgeber sich sehr zurückgesetzt, daß man ihm die Gäste wegnahm.
Ich wurde nun in das Haus der Geschwister Pusankow versetzt, wo ich sehr angenehm bewirtet wurde. Die Schwester hat ihre Pflicht in der Gastfreundschaft aufs beste erfüllt. Möge ihr der gerechte Lohn nach Matth. 10, 42 nicht verloren gehen.
Nachdem ich einige Abende freie Erbauungsvorträge abgehalten hatte, wurde ich von den Geschwistern gebeten, den „Heilsplan“ zu erklären, welches 6 Abende in Anspruch nahm. Da die meisten Brüder am Tage vernommen waren, so konnten wir am Tage keine Versammlungen veranstalten, außer zwischen 4-6 Uhr nachmittags. An diesen Abenden versuchte ich, den Brüdern, die am Worte arbeiteten, einige Winke in Homiletik (Unter Homiletik wird in der Theologie die  Predigtlehre verstanden – E.K.) zu geben. Am Tage durfte ich dann einige Geschwister in ihren Wohnungen besuchen. So wurde ich eines Tages ins Haus der Geschwister Schtscherebingina eingeladen. Hier fand ich 3 Töchter mit folgenden Namen: Die älteste hieß „Glaube“, die nächste „Hoffnung“, die jüngste „Liebe“ ( auf russisch: Вера, Надежда, Любовь – E.K.). Die beiden ältesten rühmten die Gnade Gottes, die jüngste, etwa 12 Jahre, noch nicht. Sie behauptete aber, den Herrn Jesum zu lieben und versprach, ihn zu suchen. Dieses Versprechen gab sie mir schriftlich, und ich bewahr es auf. Da diese 3 Mädchen von lauter Lobgesängen zusammenhingen, so lehrte ich sie 2 Tischliedchen singen, deren Melodie sie mit Leichtigkeit auffingen. Tischlieder waren bei den Russen noch unbekannt, so daß ich 2 derselben aus dem deutschen übersetzte: „Herr, weiß`uns deine Gaben ein“ und „Vater deine Kinder küssen“.
In einem andern Hause wurde ich eingeladen von einer Witwe, die noch eine ledige aber auch gläubige Schwester bei sich hatte. Sie wohnten ganz auf der südlichen Seite der Stadt und zählten sich mit noch einer Frau zu den einzigen gläubigen in diesem Viertel. Diese letztgenannte Frau wurde auch herbeigerufen, und die kam wie einst die Königin von Saba um Salomo mit Rätseln zu versuchen. Diese Schwester hatte schon so viel Fragen auf ihrer Seele, die einer Lösung harten, so das uns 1 Tag viel zu kurz wurde. Es tat mir herzlich leid um diese Schwester. Sie suchte ein teifes Leben der Seele, konnte es aber in der Gemeinde, die so viel Trauer erlebt, nach der törichten Trennung nicht finden, und so hatte sie angefangen, es in anderen Seckten zu suchen und war nahe zu verirren. Ich seufzte nur, daß der Herr mir immer die richtige Antwort geben möchte um der suchenden Seele zu helfen.
Den ersten Sonntag meines weiles in Pispeck fügte es der Herr so, daß ich mit Br. Barkmann zusammen auch noch eine deutsche Versammlung veranstalten konnte. Es waren so 6 oder 7 Familien zusammengekommen. So weit die deutschen Bewohner der Stadt bekannt waren fehlten noch etwa 6 oder 7 Familien. Alles Mennoniten. Ich durfte die Versammlung einleiten, in dem ich von dem größten Verhör der Weltgeschichte nach Psalm 2,2 sprach und Br. Barkmann machte dann noch einen abgerundeten Schluß, anschließend an dem letzten Vers des 2. Psalms. Beim auseinandergehen meinten die Leutchen: „das war mal wieder so heimisch.“ Sie hätten schon monatlang keinen deutschen Gottesdienst gehabt.
Die Stadt Pispeck (jetzt Frunse genannt) zählt ungef. 60,000 Eomwohner. Die Gemeinde der Baptisten etwa 75 Mitglieder. Was für ein geringer Prozentsatz im Vergleich zu der Gesammteinwohnerzahl. Es ist fast weniger, wie Lot in Sodom ausmachte.
Die Zeit meines Aufenthalts in der Stadt belief sich auf rund 14 Tage. Die ganze Zeit über war es außergewöhnlich kalt. Das Quecksilber im Termometer stieg bis auf 29 Grad Reaumur.
Eine überaus schwierige Frage in der Stadt war die Brotfrage. Die wenigen Brotläden, die noch operierten, sammelten sich die Reihenfolge schon um Mitternacht. Zudem gab es nur eine geringe Ration auf den Erscheiner, so daß große Familien bis 2 Mann in die Reihe stellen mußten, um nicht zu verhungern.
Doch das erste wichtigste Geschäft für einen Reisenden war immer die Registration der Dokumente. Die Sowetregierung will allezeit wissen, was für Elemente in die Stadt eindringen. Ebenso gesetzesgehorsam wanderte auch ich am 2. Tage in den W.Z.U.K. und stellte mich vor. Man nahm mir die Dokumente ab und verströstete mich auf morgen. Als ich den andern Tages wieder erschien, riet man mir, eine schriftliche Eingabe (Sajawlenije) zu machen, worauf man mir dann willfahren würde (? – E.K.) So nahm ich denn einen Bogen Papier und schrieb die Eingabe folgenden Inhalts:
Dem Administrationamte der Kirgisenrepublik.
Von Bürger Kornelius Joh. Plett.
Eingabe.
Mit nächstfolgenden bringe ich zur Kenntnisnahme, daß ich zur Stadt Frunse gekommen bin, als Prediger des Evangeliums zu arbeiten im Berhause der Baptisten, im Verlauf von 8 Tagen, also bis zum 6. Feb. 1928 und bitte um Registration meiner Dokumente.
K.Plett, den 29. Januar 1928.
Darauf ging ich und überreichte dem diensthabenden Beamtem die Papiere mit der Eingabe und jetzt hieß es wieder „morgen“. Und so ging ich 10 Tage oft 2 mal am Tage und immer hatte der Mann eine Ausrede.

(Fotzsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 4. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett, Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.
(Fortsetzung)

Einmal war der Kommissar nicht zu Hause, ein anderesmal in einer Sitzung, ein drittesmal mit Arbeit überhäuft, und so fort usw. Als ich am zehnten Tage wieder kam, schämte sich der Mann doch auch schon etwas. Ich sagte zu ihm: Man braucht aber wirklich eine Eselsgeduld, um von Euch etwas abzuwarten.“Ja meine Teurer,“ erwiderte er, „das ist nicht von mir abhängig.“ „Von wem denn?“ fragte ich. „Vom Kommissar“ gab er zurück. „Und wer ist der Kommissar?“ fragte ich weiter. „Das Oberhaupt in dieser Beziehung,“ meinte er. „Der Kommissar,“ sag ich, „ist eine diensthabende Person, so gut wie auch Sie und ich, und er hat einen freien Bürger der S.S.S.R. nicht so schimpflich zu behandeln.“ Die umsitzenden Tischgenossen waren indes aufmerksam geworden und einer von ihnen rief mir zu. „Warum regen Sie sich so auf?“ „Ja das ist wohl nicht zum aufregen 10 Tage wegen so einer Kleinigkeit aufgehalten zu werden.“ „Sie müssen Geduld haben,“ fuhr er fort. „Ich habe wohl noch nicht Geduld gezeigt? Ein anderer hätte Euch längst geflucht.“ „Ja,“ sagte er weiter, „aber Sie müssen das alles in Geduld ertragen.“ „Wie so?“ fragte ich erstaunt. „Weil ihre Lehre das verlangt,“ und dabei zog ein höllisches Schmunzeln über seine Lippen. Mittlerweile trat eine andere amtliche Person an den Tisch und an dem Gespräch merkte ich bald, daß es der Kommissar sei. Ich wandte mich nun mit der dreisten Frage an ihn. „Sind Sie etwa die Persönlichkeit, die bis dahin meine Papiere zu registrieren verzögert?“ Fragend blickte er den Mann an, mit dem er zuvor gesprochen. „Nun,“ sagte dieser, „dies ist der regiliöse Mann, um deswillen ich täglich bei Ihnen vorsprach.“ Darauf schaute er dann etwas verlegen umher, diesen Moment nutzte ich aus und sagte in herausforderndem Ton: „stehe ich nicht auf gesetzlichem Boden, dann sagen Sie mir doch direkt ab, habe ich aber gesetzlichen Grund unter den Füßen, wie haben Siedann ein Recht, die Sache so zu verziehen?“ Während ich noch sprach, lagerte sich eine dunkle Gewitterwolke um seine Stirn und in gebieterischem Ton herrschte er mich an: „Ich werde nicht eher die Erlaubnis geben, ehe ich nicht gut bekannt bin mit der Sache, inwieweit sie nicht den Gesetzen der Sowjetmacht zuwiderläuft.“ „So! so! und wieviel Zeit wird dieses Studium in Anspruch nehmen?“ frage ich weiter. „Das kann ich nicht sagen“ erwiderte er, „aber Sie dürfen sich die Sohlen garnicht unnötig abscheuern, indem Sie jeden Tag kommen. Kommen Sie um 4 Tage wieder, dann sind wir mit der Sache fertig.“ Als ich um 4 Tage wieder erschien, hieß es wieder um eine Woche. Ich war jedoch schon fertig mit meiner Mission, denn meine Zeit war schon doppelt herum. So forderte ich meine Dokumente kategorisch zurück. Darauf wollte man aber garnicht eingehen. Mit großer Mühe, vielem Hin- und Herlaufen und mit einer weiteren schriftlichen Eingabe gelang es mir doch, zuletzt meine Papiere, die ich ja unumgänglich zur Weiterreise gebrauchte, zurückzubekommen.
Wenn ich nun noch kurz meine Eindrücke und Empfindungen inbetreff des inneren Zustandes der Gemeinde  kundgebe, so muß ich sagen, daß es mir so schien, als liege die Ursache der ganzen Krankheit der Gemeinde in dem geistlichen Hochmut. Die sonst so lieben Geschwister hatten einfach nicht verstanden, den Rat Pauli: „einer achte den andern höher als sich selbst“ auszuleben. Ich gebe mich jedoch der Hoffnung hin, daß die vielen Leiden, deren Gott sie in letzter Zeit gewürdigt hat, mit dazu beitragen werden, sie auf eine höheren Stufe des geistlichen Wachstums zu heben. Der große Schaden bei der ganzen Sache ist nur, daß viele schwache Pflänzlein in solcher Zeit allgemeiner Zerrüttung ohne Pflege umkommen, welches auch in der Frunsiner Gemeinde der Fall war.
Am 10. Februar besorgten die Geschwister für mich ein Fuhrwerk, das mich nach der 250 Kilometer entlegenen Stadt Almaata (zu deutsch, „Apfelvater“) bringen sollte. Etwa um 3 Uhr nachmittags kam der Arbakesch (so nennt man dort den Fuhrman) und ich stieg in den kleinrussischen Wagen ein, der ein Verdeck von Rohrmatten hatte. Schwester Djatschen brachte mir noch einige Koteletten und Konfekt als Zehrung auf den Weg. Ljuba Schtscherbingina holte aus ihrem kleinen Konditorladen einige Pfefferkuchen und Kringel und schüttete sie in meinen Reisekorb und so war für Zehrung auf den weiten Weg gesorgt. Der Mensch lebt ja auch nicht vom Brot allein. Aber Hotels mit fertigen Mahlzeiten gabs in jener Gegend nicht. Keine Eisenbahn. Und die Autos durften nur Regierungsbeamte fahren.
Mein Fuhrmann fuhr noch auf 4 Stellen an und lud weitere 4 Passagiere auf, das wir auf dem kleinen Wagen zu 6 Personen waren. Außerdem viel Gepäck. Wir lagen wie die Fische in der Tonne. Der erste Anhaltepunkt war Gegorowka. Die Auffahrtshöfe waren so voll, daß wir es vorzogen, im Wagen zu übernachten. Es ging sonst auch, nur wollten die Füße immer erstarren, denn es war 25 Grad kalt. Noch lange vor Tagesanbruch gings wieder weiter. Um 9 Uhr morgens waren wir bei Segakienka, der letzten Station vor dem großen Kurdaj-Gebirge angekommen. In den Auffahrtshöfen herrschte solche Unreinlichkeit, das der Tee fast nicht herunter wollte. Weil gerade 3 Wochen seit meiner Abfahrt verflossen waren, so schrieb ich schnell eine Karte an meine Familie, und dann gings dem Kurdaj hinauf. Es war für das kleine Pferdchen eine hundertprozentige Leistung, diesen Berg zu erklimmen. Er soll nach Aussagen der örtlichen Bewohner 4 Kilometer hoch sein. Oben hat er eine Platte von 12 Kilometer breit. Oben angekommen, waren wir in eine ganz andere Welt eingefahren. Es herrschten da vollständig siebirische Zustände. Eine dicke Schneeschicht bedeckte das ganze Gefilde. Den Tag vorher war hier so großer Schneesturm gewesen, das die Automobile eingestiemt waren. Die häufige Veränderung des Wetters, die hier oben mehr wie irgendwo zu Hause ist, warf uns Glück in den Schoß; denn an dem tage, wo wir den Gebirgskamm passierten, sandte die Sonne ihre warmen Strahlen herunter, der Himmel zeigte ein reiches Blau, und der Wind schien Feiertag zu haben. Der Weg war für den Wagen fast unfahrbar, die Räder schnitten so tief in den Schnee, daß die Achsen noch immer Schnee mitschleiften. Aus diesem ergab sich nun nur ein Geleise. An Vorbeifahren war nicht zu denken. Die ganzen 12 Kilometer war Fuhre an Fuhre. Eine unübersehbare Karawane. Mit großer Anstrengung kamen wir mit Anbruch der Abenddämmerung bis an den Abhang des Berges. Kaum hatten wir begonnen uns herunter zu lassen, als von neuem der Sturm los brauste und tausende Fuhrwerke auf dem Berge übernachten hieß. Als uns später noch einige nachkamen, erzählten sie von dem Schicksal derer, die droben bleiben mußten. Dem einen waren die Wangen, dem andern die Nase und einem dritten die Füße angefroren. Wie dauern mich noch heute diese armen Menschen, die von der Sowjetbehörde wie Sklawen getrieben werden, ohne Rücksicht auf Wetter, Kleidung oder die Dürftigkeit der Pferde. (bedauern? Tun leid?– E.K.) Und was fuhren sie den alle? Den letzten Rest des Brotes, Futters und des  Saatgutes.
Am 12. Februar sehr früh morgens ging`s von Kurdaj weiter dem Gebirge entlang. Eine unbewohnte wasserlose Gegend. In Abständen von 30 bis 40 Kilometer kleine Stationen von der Postbehörde eingerichtet, und von einigen Mohammedanern bewohnt.
Meine Reisegesellschaft bestand aus 2 Herren und 2 Damen. Der Eine war ein Kommunist, wir verfolgten beide entgegengesetzte Ziele. Er war gesandt, wie einst Paulus als er noch Saulus hieß, mit Vollmacht ausgerüstet, antireligiöse Propaganda zu treiben und alles was ihm hindernd im Wege stand, hinter Gitter zu bringen. Selbstverständlich durfte ich mich diesem Wolf nicht zu erkennen geben. Ich stellte mich so zu ihm, als hätte ich auch Lust in die Partei einzutreten. Ich fragte ihn nach allen Bedingungen zum Eintritt in die Partei, alle Vorrechte eines Parteimannes und auch ihre Ziele. Und er erklärte mir offenherzig alles, wonach ich fragte und noch viel mehr dazu. Und obwohl er glaubte, seine Mission sei ihm so halbwegs an mir gelungen, so hatte ich doch das Gefühl, könnte ich doch nur Rußland verlassen. Doch solange ich noch das Evangelium verkündigen kann, will ich bleiben. Ich fragte ihn auch, ob sie schon einen Beweis liefern können, das es keine Gottheit gebe. „Nein“ sagte er, „das können wir ebensowenig, als die religiösen Leute beweisen können, daß es einen gibt.“ „O!“ sage ich, „wenn die Sachen so stehen, dann will ich bis es nicht gründlich geklärt ist, mit einem Gott rechnen und an ihn glauben.“ „Und warum?“ fragte er. „Nun!“ sage ich, „wenn es am Ende doch einen Gott gibt und ich mit ihm rechne, so habe ich nichts zu fürchten. Aber wehe Euch, wenn es doch einen Gott gibt, wo wollt Ihr dann bleiben?“ „Nun“ sagte er, „mir kann auch nichts werden, denn ich habe ihm noch nicht geflucht und gelästert.“ So merkte ich, daß unter der Amtstracht eine noch nicht ganz gestorbene Seele sich verbarg. Wir waren indessen zur Station Atava gekommen, wo wir anhielten und Tee tranken. War es schon in den russischen Auffahrtshöfen schmutzig, so schien die Urreinlichkeit in der mohammedanischen Karawansaraj alle Grenzen zu überschreiten. Ich war glücklich drin, ein Teeglas mitgenommen zu haben, denn die Trinkgefäße der Mohammedaner hatten das Ausshen, als seien sie schon einjahrhundert nicht ausgewaschen worden.
Beim weiterfahren, als es schon wieder finster geworden war, hatten wie eine Katastrophe. Wir waren alle so halbwegs eingeschlafen, da mit einmal lagen wir alle in dem oberen Teil unsere Equipage unter Klei und Gepäck vergraben. Der Wagen war umgekippt und hatte das Unterste nach oben gekehrt. Wir waren Kopfüber gefallen und konnten nicht viel anfangen. Der Kutscher, der vorangesessen, war jedoch frei geblieben, so daß er vorne anfing auszupacken. Der ein quieckte hier, der andre dort. Endlich waren wir alle frei. Die Dämchen hatten sich zum Schlafen die Strümpfe ausgezogen und konnten nun versuchen, wieviel Grad der Schnee hatte. Denn bis der Wagen entleert, die Sachen im Finstern alle gefunden waren, vergingen doch zum mindesten 15 Minuten. Das gab ein Kraval von Schelten, lachen und auch heulen. Der Fuhrmann war wahrscheinlich auch vom Sandsteuer heimgesucht worden, die Pferde, sich selbst überlassen, waren ausgetreten und der Wagen in einen tiefen Graben gestürzt. Nun wurden die Pferde von der Seite angelegt, der Wagen zurück gekehrt und wieder alles frisch eingepackt und dann gings im vorherigen Tempo wieder weiter. Ich kann mir nicht entsinnen, daß uns dies Ereignis viel mehr geholfen, als daß wir für einige Zeit neues Thema zur Unterhaltung hatten. Den 14. Febr. mit Finsterwerden kamen wir endlich nach der vielbesprochenen Stadt Alma-Ata. Nachdem ich des andern Tages meine Kleider und Betten einer Zensur unterworfen hatte, ging ich meine Brüder suchen. Ich durfte auch nicht lange suchen, so fand cih das Bethaus der Baptisten. Ich fand es aber verschlossen und von der Polizei versiegelt. Man sagte mir aber, daß sie sich an einem andern Orte versammelten.

(Fortsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 11. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett, Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.
(Fortsetzung.)

Der Bruder, der hier auf dem Hofe wohnen sollte und dessen alleinige Adresse ich besaß, war nach einer andern Stadt gezogen. Eine Adresse eines andern Baptisten konnte mir niemand angeben. Es fand sich zuletzt ein Mann, der mir den neuen Versammlungsort bezeichnen wollte. Wo ungefähr ich es finden könnte. Es zog mich mit unwiderstehlicher Macht zum Postamt, denn hier könnte ein Brief auf mich warten, und o Freude! Ein Schreiben von meiner lieben Familie hatte schon 4 Tage auf mich gewartet. Dann ging ich wieder das Bethaus aufsuchen. Als ich endlich des Schildes ansichtich wurde, sprach ich mir selbst Glück zu, aber wie getäuscht, als ich näher kam und lesen mußte: „Bethaus der Adventisten.“ Auch hier auf dem Hofe wußte niemand etwas von den Baptisten. Nun blieb mir noch ein Ausweg. Ich ging dann zum Markt und dingte einen Fuhrmann. Wir einigten uns auf 40 Kopeken. Es fuhr jedoch in der Richtung, wo ich das erstemal gewesen. „Halt“ sage ich ihm! „Von da komme ich schon, das Haus ist verschlossen. Man sagte mir dort, daß sie sich an einem anderen Orte versammeln.“ „Ich weiß“ sagt er, „hier unten.“ „Nein,“ sage ich, „von hier komme ich eben jetzt, das sind Adventisten.“ „Ja dann weiß ich nicht.“ Und so sagten auch die andern alle. Auch wußte niemand von ihnen die Adresse irgend eines Bruders anzugeben. Ich mußte es also aufgeben in einer Stadt mit 120 tausend Einwohnern, diese wenigen, verängsteten Individien zu finden. Verlegen und mißmutig ging ich ins Quartier zurück.Während ich weiter darüber nachdachte, natürlich gings dabei nicht ohne Gebete ab, schien mir mit einmal noch eine Möglichkeit vorhanden zu sein. Ich hatte aus Pischpeck einen Brief mitbekommen, der zwar auch keine Adresse hatte, aber einen vollen Namen trug, den Namen eines Bruders. Mit diesem Namen ging ich ins Adreßbüro und fragte die diensthabenden Dämchen: Wo wohnt Iwan Michailowitsch Solowjew? Nach einer Weile sagte die eine: Datschnaja Straße Haus 22. So hatte ich doch wieder Hoffnung, jemandem zu finden. Dann wurde ich von meinem Fuhrmann dorthin gefahren. Es war ganz auf der Außenseite der Stadt. Wie froh war ich, als ich erst wieder Geschwistern ins Angesicht schauen konnte. Diese Familie hatte 4 gläubige Töchter. Außerdem wohnten noch 2 Familien in demselben Hause, welches zweistöckig war. Abends kam die kleine Hausgemeinde zusammen und fangen eins ums andere. Ich lehrte sie 3 Tischlieder singen und las dann noch ein Wort Gottes mit ihnen. Des andern Tages kam der leitende Bruder Diemitrij Pet. Assejef und wir beratschlagten miteinander über meinen weitern Reiseplan. Da hier das Versammlungshaus verschlossen war, so fanden wie es für Zweckentsprechend, daß ich zuerst nach Taldekurgan fahre, (noch einmal 250 Kilometer weiter in das Siebenflußgebiet) und dann auf dem Rückwege diese Stadt bediene. Da das besorgen eines Fuhrwerks für diese Reise einen Tag in Anspruch nahm, so hatte ich Gelegenheit, mit der Buchbinderei bekannt zu werden, da die Schwestern des Hauses sich damit beschäftigen. Auf meine Bitte hin wurde die Banga geheißt und ich komme mich etwas von den bösen Insekten reinigen, die sich auf der Reise ohne „Propusk“ (Zulassung, Erlaubnis – E.K.) eingeschlichen hatten. Für den Abend hatte man eine Vesammlung in einem Privathause anberaumt, ganz in einer Ecke der Stadt. Die Stuben waren so gedrückt voll, daß man fast nicht atmen konnte.
Den 17. Februar kam ein Bruder mit einem Fuhrwerk und brachte mich zu dem 50 Kilometer entlegenen Dorfe Nickolajewka. Hier traf ich es ganz außergewöhnlich an. Denn der leitende Bruder der Gemeinde war auch zugleich Kommissar im Dorf. Ich zeigte ihm meine Dokumente  und er proklamierte eine Abendversammlung in seinem Hause. Es kam aber noch vor Abend eine „Heuschrecke“ (so wurden die Regierungsbeamten in jener Gegend von Volke genannt), die unsern Plan vereitelte; so daß wir die Versammlung in ein anderes Haus verlegen mußten. Beim Abendessen fragte mich der Regierungsbeamte, der sich als ein Mitarbeiter des Administrationsamtes aus der Stadt Alma-Ata darstellte, von wo ich sei, wohin ich fahre, Zweck meiner Reise usw.? Seine Fragen waren so direkt, daß ich ihm alles in unverhüllter Wahrheit sagen mußte. Ich sagte also, daß ich Prediger des Evangeliums sei. „Und Sie?“ fragte cih, „sind ein Parteimann, nicht war?“ „Ja wohl“ antwortet er. „Also sind wir entgegengesetzte Elemente,“ fuhr ich weiter fort. Er schaute mich verdutzt an. „Wie so?“ fragte et, „Wir verfolgen beide entgegengesetzte Ziele,“ sagte ich. „Sie bauen an ein irdisches Reich und ich an ein himmlisches.“ „Darum dürfen wir doch nicht Feinde sein, es ist ja jetzt Religionsfreiheit“ meinte er. Er strengte sich an, häflich und bescheiden zu sein. Wer ahnte auch nur daß er Otterngift unter seinen Lippen barg und daß mich dieses freundliche Hündchen später sobeißen würde.
Mein Aufenthalt in diesem Dorfe verzog sich 5 Tage. Das Dorf zählte 60 Höfe und 12 Mitglieder der Gemeinde, und das waren alles Alte. Die armen Geschwister haben es nicht verstanden, ihre Jugend anzuziehen zu den Versammlungen. Es vesammelten sich nur die Alten und die Kinder trieben sich irgendwo herum. Der Gemeindegesang glich daher auch eher einem Katzenchor als einem Sängerchor. Da man in der Kindererziehung bei den russischen Geschwistern so sehr viel vernachlässigte, so sah ich mich genötigt, Vorträge über chtistliche Kindererziehung zu halten, und da solche überall mit größtem Interesse angehört wurden, so kam ich auf den Gedanken, ein Referat niederzuschreiben „Hebung des sittlich geistlichen Zustandes in unsern Familien,“ um es an jedem Orte  vorzulesen und wenn gewünscht, schriftlich zu hinterlassen. Der Zustand dieser Geschwister gab den Ausschlag dazu. Nachdem ich dann über diese Sache viel mit ihnen gesprochen hatte, baten sie mich um Aufklärung über Bibelstunde, Bibelbesprechung, Bibelkursus usw. Von allem hatten sie wohl schon gehört, aber das war auch alles. Als ich dann versuchte, es ihnen auseinander zu setzten, baten sie um eine Bibelkursusstunde. Was sollte man wohl diese Brüder in einer Stunde lehren? Ich bat meinem Herrn um Weisheit. Nun sollten sie aber auch einige Gedanken aufschreiben. Aber das waren eher Hühnerfüße als Buchstaben. Es verging recht viel Zeit, bis ein Satz geschrieben worden war; und doch konnten sie ihn nachher nicht lesen. Eben so stumpf waren sie auch im Begriff. Das denken schien fats eine Unmöglichkeit für sie zu sein. Da erhielt ich so recht einen Einblick, was das Trunksuchts- und Lasterleben am Gehirn eines Volkes zerstören kann. Ich versuchte auch die Jugend einen kleinen Liedervers singen zu lehren. Aber auch hier blieb mir nicht übrig als staunen. Wie tief hat doch das unsittliche Leben von Generation zu Generation das Volk in den Dörfern bis zur Unfähigkeit herab gezogen. Während man in der Stadt diesen Vers nach 10 maligem Wiederholen richtig sang, so konnten sie hier denselben noch nicht singen, nachdem ich ihn 50 mal vorgesungen hatte.
Noch einige Beispiele aus der Beobachtung. Wir halten bei Tisch die Morgenandacht. Anstatt dabei zu sein, geht die Schwester des Hauses neben uns auf und ab, macht sich hier und da zu schaffen, schreit auf die Kinder, die in gleicher Weise unruhig sind und tut, als ob wir durchaus keiner Berücksichtigung bedürfen. Ich sage: „Schwester, wie hast du nur so wenig Andachtssinn, daß du, anstatt mit den Kindern in ordentlicher Weise bei Tisch zu sitzen, selber im Zimmer hin und her läufst und unruhig bist. Wenn ihr später das Verderben eurer Kinder beweinen werdet, solls mich nicht wundern. So erlangt man die Verheißung, Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst du und dein Haus selig`nicht.“ Oder der Vater kommt vom Hofe in die Stube und die Kinder haben etwas nicht an den rechten Platz hingestellt, und er fragt herausfordernd: „wer hat das getan?“ „Iwan“ geben alle Zeugnis. Er darauf: „wo dies noch einmal geschieht, so schlage ich dir die Zähne ein.“ Als ich später mit ihm unter vier Augen war, sagte ich: „Bruder, wie kannst du solche Drohungen aussprechen, die du doch nie erfüllen kannst? Ich glaube eher, sollte dein Sohn Zahnschmerzen haben, du würdest dich schnell an einen Arzt wenden, und wie sprichst du denn, daß du sie einschlagen willst? Auf diese Weise gewinnt ihr eure Kinder nicht.“
Es ist auch scheinbar das ganze Leben so eingerichtet, daß alle unsere Methoden der Erziehung nicht anwendbar sind. Wollte ich ihnen raten, den Kindern Spielzeug zu verschaffen, das sie Beschäftigung hätten, so ist die russische Hütte so eingerichtet, daß zum Spielen für Kinder kein Raum bleibt. In den meisten Fällen ist nur eine Stube warm. Diese ist zur Hälfte von einem gemauerten Ofen eingenommen, die andere Hälfte füllt ein Bett, ein Tisch und ein Kasten aus. Wollen die Kinder dann noch wo spielen, so sind sie immer unter den Füßen. Und so müssen sie den langen Winter auf dem Ofen zubringen, halb nackend, schreien sich Schimpfworte zu, stoßen und kneifen sich, beschmieren sich von oben bis unten und dergleichen. Bekommen sie Spielzeug in die Hände, so ist es in kurzer Zeit in Stücke zertreten. Ich verteilte auch hier, wie überall, an Kinder kleine Bilderbücher, aber sie handelten damit ähnlich dem vierten Tiere in Daniels Traumgesicht. Ich sagte zu den Alten: „macht eure Versammlungen anziehend für die Kinder, damit sie gerne kommen.“ „Ja“ sagen sie, „womit sollen wir sie anziehend machen?“ „Nun vorläufig mit Gesang.“ „Ja wir haben niemand, der uns singen lehrt.“ „So schickt doch ein Bruder zur Stadt und laßt ihn Stunden des Unterrichts nehmen.“ „Wem sollen wir da schicken?“ sagen sie, „Niemand von uns kann genügend schreiben und dar ohne geht’s doch nicht.“ Ich sage weiter: „kauft euren Kindern gute Bücher.“ „Das hilft nichts“ sagen sie, „die können alle nicht genügend lesen.“ „Nun dann Musikinstrumente.“ „Wer soll Unterricht geben, es ist im ganzen Dorfe niemand, der es tun könnte.“
Bei den eben beschriebenen Verhältnissen muß es dem Leser klar geworden sein, daß sich die Verkündigung der Heilsbotschaft unter diesen Leuten in ganz andern Linien bewegen muß, wie unter unserm Volke. Da muß immer wieder Milch verabreicht werden.
Infolge des schnell eingetretenen Tauwetters konnte ich meinen Weg nicht weiter fortsetzten. Mit großer Mühe wurde ich wieder zurück zur Stadt Alma-Ata gefahren. Als wir in den Hof der Geschwister Solowjow einfuhren, begrüßten uns eine Anzahl freundlicher Gesichter. Ich rief ihnen entgegen: „nehmt ihr nicht mich noch einmal auf?“ „ja,“ riefen alle wie aus einem Munde! „Wir wollten schon nach dir schicken und dich holen lassen.“
Den 24. Februar wurde ich eingeladen mitzukommen zum Photographen. Die Jugend der Gemeinde fand sich hier ein und wir machten ein gegenseitiges Andenken. Dann gingen wir einer Einladung zu folge etwa 4 Kilometer zum entgegengesetzten Ende der Stadt zu Leuten, die noch zur rechtgläubigen Kirche gehörten, sich aber für unsere Glaubensansichten interessierten. Die Jugend sang viele schöne Lieder und ich hatte Gelegenheit, Gottes Wort zu lesen.
(Fortsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 18. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett, Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.
(Fortsetzung.)

Ich sprach über „die Notwendigkeit eines neuen Herzens zum christlichen Lebenswandel“ nach Hesek. 36, 26-27. Dann wurde wieder gesungen. Wir wurden dann mit Tee bewirtet. Als wir uns anschickten, wegzugehen, ließen die Leute es nicht zu, ich solle noch mehr erzählen. Ich sprach dann über die Bedienung zum Seligwerden nach Joh. 3, 16. Die Leute tranken die Botschaft wie Wasser. Sie baten uns sehr, wiederzukommen. O was für ein Genuß ist doch eine von Gott angewiesene Reichgottesatbeit!
Am 25. Februar ging ich, meine Dokumente registrieren zu lassen. Wieder mußte ich eine Eingabe machen, und wieder hieß es „morgen“. Ich ging aber erst den 27. wieder hin ins Registrationsamt. Aber o Grauen! Anstatt Erlaubnis stellte man Protokoll auf. Im ersten Moment gings mir so wie einst dem Daniel bei der Traumdeutung, ich erstarrte für einen Augenblick. Dann aber faste ich Mut und antwortete auf alle Fragen Wahrheitsgetreu. Die ganze Ursache war das freundliche Hündchen mit dem ich vor 10 Tagen in Nikolajewka zusammen gestößen war.
Das Protokoll war ungefähr folgenden Inhalts.

Verhörungsprotokoll.
Am 27. Februar habe ich, Vorsitzender der Abteilung des J.N.O. (so und so), der Stadt Alma-Ata mit dem Baptistenprediger Kornelius Plett folgendes verhör angestellt.
1. Frage: Wozu sind Sie nach Alma-Ata gekommen?
Antwort: Um zu predigen.
2. Frage: Wann sind Sie hier angekommen?
Antwort: Den 23. Februar.
3. Frage: Wie lange gedenken Sie sich hier aufzuhalten?
Antwort: 3 Wochen.
4. Frage: Wo wollen Sie predigen?
Antwort: In der Stadt im Bethause der Baptisten.
5. Frage: Ist das Haus nicht verschlossen?
Antwort: Wir haben Hoffnung, daß es in nächster Zeit geöffnet werden wird.
6. Frage: Haben Sie noch nicht gepredigt hier in der Stadt?
Antwort: Ja ich habe?
7. Frage: Wievielmal haben Sie gepredigt?
Antwort: 2 mal.
8. Frage: An welchem Datum?
Antwort; Den 16. und 26. Februar.
9. Frage: Also sind Sie schon früher hier gewesen als den 23. Februar?
Antwort: ja, ich reiste hier durch.
10. Frage: Also sind Sie auch ausgefahren in unsern Kreis und haben gepredigt?
Antwort: Nein.
11. Frage: Ich habe erfahren, daß Sie doch gefahren sind, Sie sind in Nikolajewka gewesen?
Antwort: Ja, da bin ich gewesen auf meiner Durchreise nach Taldekurgan, und da ich daselbst Brüder traf, hielt ich an, das schnelle Tauwetter hinderte mich am Weiterfahren und ich kam zurück nach Alma-Ata.
12. Frage: Wer gab Ihnen die Erlaubnis, dort zu predigen?
Antwort: Der Dorfsvorsteher.
13. Frage: Zeigen Sie mir die Erlaubnis.
Antwort: Die geschah mündlich.
14. Frage: Wie können Sie sich mit einer mündlichen Erlaubnis begnügen?
Antwort: Weil er auch der Vorsteherder Gemeinde ist, sah er meine Dokumente durch und lud mich ein, zur Versammlung zu kommen.
15. Frage: Wievielmal haben Sie dort gepredigt?
Antwort: 4 oder 5 mal.
16 Frage: Warum fuhren Sie dort hin, ohne sich hier erst gemeldet zu haben?
Antwort: Weil ich dachte, daß man sich nur am betreffenden Ort zu melden habe.
17 Frage: Wo finden Sie so ein Gesetz?
Antwort: Eure Gesetze sind in jeder Republik andere, und ändern mit jedem Neumond, so daß man`s nicht immer nachkommt, dieselben zu wissen.
18 Frage: Und warum haben Sie hier gepredigt, ohne registriert zu sein?
Antwort: Das erstemal, weil ich nur einen Tag verweilte und gebeten wurde, das anderemal wars schon nach der Eingabe der Dokumente und ich hielt mich für offiziell berechtigt.
19 Frage: Wer lud Sie ein zum Predigen, der leitende Aßejew?
Antwort: Alle luden mich dazu ein.
20 Frage: Wo haben Sie gepredigt, das Haus ist verschlossen?
Antwort: In einem Privathause.
21. Frage: In welcher Strasse unter welcher Nummer?
Antwort: Das weiß ich nicht.
22. Frage: Wissen Sie nicht, daß Versammlungen in Privathäusern verboten sind?
Antwort: Die Gemeinde hatte schriftliche Erlaubnis dazu.
23. Frage: Wer konnte außer uns ihnen die Erlaubnis geben?
Antwort: Das ist nicht meine Sache.
24. Frage: Haben Sie sich schon im Adressbüro einschreiben lassen?
Antwort: Am ersten Tage meiner Ankunft war ich in der betreffenden Kanzlei und da man mir sagte, der Hauswirt müsse mit dem Hausbuch selber kommen, so haben ich ihm die Sache übergeben.
25. Frage: Wie lange sind Sie Prediger?
Antwort: Von anno 1920.
26 Frage: Haben Sie diesem noch etwas hinzuzufügen?
Antwort: Mitnichten.

Dann reichte er mir das Protokoll zur durchsicht und forderte meine Unterschrift. Ich las es und unterschrieb. Bat dann aber um die Kopie, die er mir kurz verweigerte. Dann entließ er mich mit der Bedingung, daß ich den nächsten Tag wieder kommen würde. So viel hatte ich ja schon gemerkt, daß es anstatt Erlaubnis zum Predigen Arrest geben würde. Ich ging nun ins Quartier zurück, packte meine Sachen zusammen, zog mich um und ordnete alles daraufhin, daß ich auch auf billigen Tarief zurück geschickt werden könnte. Weil das schon mit einigen Brüdern vor mir so geschehen war. Abends kamen einige Brüder zusammen und wir besprachen Dinge, die mit dieser Sache zusammenhingen und legten alles zu Füßen dessen, der gesagt hat „Ich sende Euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“.
Der nächste Tag gab viel nachzudenken. Der leitende Bruder Aßejew begleitete mich bis in den Vorhof der Hölle, um zu erfahren, was man mit mir tun würde. Ich hatte mich leicht angezogen, alles unnötige aus den Taschen entfernt, außer der Taschenbibel, dem Notizbuch und Bleistift. Nun wurde aufs erste von dem Beamten eine List ersonnen um uns beide voneinander zu trennen... Der Bruder wurde in eine Kammer gerufen und die Tür verschlossen. Darauf brachte man mich in eine andere Kammer, wo ich einen andern Beamten zur Aussicht unterstellt wurde. Als man dann den Bruder hinaus ließ, war ich fort. Auf seine Frage, wo man mich hingebracht, antworteten sie spöttisch: „Such ihn dir.“ So das wir beide nichts von einander wußten!
Hier sollte ich nun harren, bis es dem Belialsgesinde gefallen würde, das endgültige Urteil über mich zu fällen. Soviel wurde mir bewußt, daß ich bereits gefangen sei. Ich hatte da nun die Gelegenheit, den ganzen Tag die aus und eingehenden Höllengeister zu betrachten. Mehrere Diebe, die man auf frischer Tat ertappt wurden hereingebracht. Sie schrieen und tobten sich aus, bis man sie beim Kragen faßte und in den Keller hinunter stieß. Weiber weinten sich hier aus. Die Eine hatte eine Sache wider ihren Mann, die andere mit der Schwiegertochter, die dritte mit der Nachbarin. Ein Betrunkener kam und bat, man möchte ihm arrestieren, sonst wenn er so nach Hause gehe, dann schlage er alles herunter u.d.g.m. Bis vier Uhr harrte ich meines Schicksals. Die Stunden schlichen so langsam wie nie.
Endlich nahm sich der Beamte, dem ich unterstellt worden war, meiner an! Aber alles, was er zu tun wußte war, wieder ein Verhörungsprotokoll aufzustellen, das folgenden Inhalt hatte.
Verhörungsprotokoll.
Den 28. Februar 1928 habe ich, der diensttuende der Kreismillizabteilung der Stadt Alma-Ata (so und so) mit Kornelius Plett folgendes Verhör angestellt.
1. Frage: Wo sind sie geboren?
Antwort: Im taurischen Guvernement Kreis Berdjansk, Halbstäter Wollost, Dorf Alexandertal.
2. Frage: Wo haben Sie noch gewohnt?
Antwort: Im Omsker Guvernement, Slawgoroder Kreis.
3. Frage: Wo wohnen Sie gegenwärtig?
Antwort: K.A.S.S.R. Orloffer Wolost Dorf Nikolaipol.
4. Frage: Was ist Ihre Hauptprofession?
Antwort: Landwirtschaft.
5. Frage: Was können Sie noch für Spezialitäten?
Antwort: Müllerei, Schusterei, Schlösserei.
6. Frage: Können Sie noch mehr?
Antwort: Ich denke, das reicht für Euch zu.
7. Frage: Was haben Sie für eine Schulbildung?
Antwort: Primitive Elementarschulbildung.
8. Frage: Wo ist Ihr Aufenthalt hier in der Stadt?
Antwort: Datschnaja Starße Nummer 22.
9. Frage: Wie lange wollen Sie sich hier aufhalten?
Antwort: Drei Wochen.
10. Frage: Womit wollen Sie sich beschäftigen?
Antwort: das wissen Sie wohl nicht? Ich will predigen.
11. Frage: Sind Sie dazu gesandt?
Antwort: Selbstverständlich.
12. Frage: Wer hat Sie gesandt?
Antwort: Nächst Gott, der mittelasiatische Bund der Baptisten.
13. Frage: Wie hoch ist Ihre Gage?
Antwort: 50 Rubel.

Dann überreichte er mir das Protokoll zur Durchsicht und Unterschrift. Ich bat nun zu allererst um die Kopie. Darauf gab er mir ein Stück Papier und ich begann zu schreiben. Er verließ dann das Zimmer, kam aber bald zurück und sagte: „Wir geben die Kopie nicht.“ Ich sage: „Sie dürfen auch nicht, ich nehme sie mir.“ Darauf riß er mir das Papier aus den Händen und verfetzte es vor meinen Augen in Stücke. Er laß mir nun selbst das Protokoll vor, und verlangte dann Unterschrift. Ich sagte weiter: „Wenn Sie mir nicht die Kopie geben unterschreibe ich auch nicht.“ „Sie haben Ihren Willen“ meinte er. Wie aus allem zu schlußfolgern war, hatte er sich Licht darüber von einem andern Beamten geholt, und man ging mit mir um wie mit einem gestohlenen Gut. Als ich dann, kurz vor Arbeitsschluß in die Kanzelei des Ino zurückgerufen wurde, war mein Aufsäher nicht gerade im Zimmer, so daß er meinte, ich wäre entwischt. Der Inobeamte forderte eine Unterschrift von mir, daß ich am nächsten Tage wieder erscheinen werde. Anders könnte ich nicht mehr freigelassen werden. Gerne unterschrieb ich das um nur wieder an die frische Luft zu kommen. Nachdem ich noch eine Weile Worte verlor um die Kopie von alledem zu bekommen lief ich hinaus. Und gerade als ich durch die letzte Tür schlüpfte, erblickte mich mein Aufsäher, der schon nach mir gesucht hatte. In seiner Aufregung vergaß er die Höflichkeit und schrie: „Wo willst du hin?“ „Nach Hause,“ sage ich. „Gleich kommst du zurück!“
(Fortsetzung folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 25. Juli 1934, Seite 10. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett, Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.
(Fortsetzung.)

Und wenn ich jetzt nicht kurze Schritte gemacht hätte zur Umkehr, dann hätte ich wohl etwas von seinen Muskeln zu fühlen bekommen. Er trieb mich dann zu dem Inobeamten. Der lachte tüchtig und erklärte ihm, daß ich nicht ohne Erlaubnis gegangen sei. „Nun dann heb dich von hinen“ meinte er. So durfte ich wieder nicht säumen fortzukommen.
Wie jubelten doch die Geschwister im Hause, als sie mich kommen sahen und meinten, ich sei frei.
Den andern Tag, ob wohl oder übel nahm ich meinen Weg wieder zu der Stätte der Ungerechtigkeit. Hier erfolgte nun die Vorlesung der Bestrafung. Fünfzig Rubel zahlen oder eine Woche Zwangsarbeit. Das war ein seltsames Frühstück. „Wollen Sie die Strafe hier gleich bezahlen,“ fragte der Tatausführer? „Sie glauben wohl, daß das Geld bei mir rostet,“ entgegnete ich. „Nun dann gehen Sie jetzt gleich in die vierte Abteilung der Stadtsmiliz, da wird man die Strafe ersuchen.“ Als ich in die betreffende Miliz erschien, sagte der Mann: „ich habe ihretwegen noch keine Weisung erhalten, kommen sie morgen.“ So verschob sich die Sache von einem Tag zum andern.
An diesem Tage war es auch dem anhaltenden Wirken der Brüder gelungen, das Bethaus wieder zu öffnen. Wie freuten sich alle Geschwister zu dieser Nachricht. Aber auch diese Freude war noch wieder mit Wermut vermischt. Das Haus war nun geöffnet, der Arbeiter fest. Heiße Dankgebete mit weiteren innigen Bitten meinetwegen stiegen an diesem Abend zum Thron Gottes empor. Der nächste Tag war (nach Verabredung) der Tag, an dem ich den Meinen wieder ein Brieflein schicken mußte. Es war aber nicht so einfach zu schreiben, damit nichts von dem Vorgefallenen zu riechen sei. Meine Lieben durften es ja um keinen Preis erfahren, damit sie sich nicht unnötigerweise aengsteten.
Als ich nun bei der Miliz eine Stunde gewartet hatte, waren endlich alle Papiere ausgeschrieben. Man hatte deren schon einen ganzen Stoß angehäuft. Ich bekam einen Kanwoj (Begleitpersonen, in der Regel bewaffnet (– E.K.), der mich ins Syrawdom (Verbesserungsanstalt) brachte. Es war wieder an 5 Kilometer zu gehen, von einem Ender der Stadt  bis zum andern. Auf dem Wege dorthin sage ich zu meinem Führer: „Schauen Sie doch mal bitte in die Mappe, die sie Tragen, auf wie lange bin ich verurteilt?“ Er öffnete und las: „auf 14 Tage.“ Dann frage er: „hat man es Ihnen denn nicht gesagt?“ Mir wurde gesagt auf 1 Woche. Endlich kamen wir an ein großes eiserne Tor. In dem Tor war eine kleine eiserne Tür. Auf Anmeldung meines Führers ging sie auf. Als wir sehr gebückt durch das kleine Loch durch waren, schlug die Tür zu, ein großes Schloß wurde vorgelegt und ich war für 14 Tage eingesperrt.
Auf oder in dem Hofe herrschte große Unsauberkeit. Haus an Haus gereiht kam auch endlich dasjenige, in dem ich angeliefert werden konnte. Ich wurde hier einem Zivilbeamten übergeben, der mich mit vielen andern der Reihe nach, wie sie gekommen waren, aufstellte. Es geht in einer Beamtenstube in Rußland nur immer langsam, aber in dieser Ecke ausnahmsweise. Als nun die Reihe an mich kam, fragte der Mann: „Was für eine Spezialität können Sie?“ „O,“ sage ich „mehrere. Sagen Sie mir nur, was für Arbeit Sie hier haben. Wenn ich wählen darf, wünsche ich mir die Buchbinderei.“ Er rief mich näher an seinen Tisch und sagte mit etwas verhaltenem Atem: „Wollen Sie nicht lieber mit Geld bezahlen? Die Arbeit wird Ihnen hier doch nicht gefallen.“ „Ich habe nichts,“ sagte ich verlegen. „Wir werden nicht viel von Ihnen fordern. Wir rechnen ihre Arbeit einen Rubel 25 Kopeke den Tag. 14 Tage sollen sie arbeiten. 2 Tage fallen ab als Ruhetage, 12 Tage machen also 15 Rubel. Wenn sie uns von dieser Summe 25 Prozent bezahlen, also 3 Rubel 75 Kopeken, dann geben wir Ihnen eine Quittung und ihre Dokumente und sie sind frei.“ Ich traute meinen Ohren kaum über diese Worte. Ich fragte: „wie kann das möglich sein?“ „Ich kann es Ihnen sagen“ meinte er. „Wir haben hier 2 Arten der Bestrafung. Die eine verlangt unbedingte Zwangsarbeit, die andere kann mit Geld abkommen. Sie sind zwar nach der ersteren bestraft; aber ich mache mit ihnen eine Ausnahme. Sie sind auf der Reise und da wird es ihnen gewiß nicht angenehm sein, so lange aufgehalten zu werden. Daraufhin sprach ich mit dem Natschalnik und er drückt auch ein Auge zu. Wir führen die Sache durch die Bücher und sie sind derweilen wer weiß wo!“ Dabei machte er menschenfreundliche Gebärden. Es schien, als hatte ich Gnade gefunden vor diesen Mann. Ob er ein Freund der Gläubigen gewesen, weiß ich nicht. Genug es war zu sehen, daß hier der Herr im Spiele war. Zu meinem größten Leidwesen hatte ich kein Geld mitgenommen. Ich bat den Manne nun um Freilassung, damit ich Geld holen konnte. „Nein“ sagt er „das geht nicht.“ Nachdem ich aber ein heiliges Versprechen mit Unterschrift und den Rest meiner Papiere abgegeben, ließ er mich gehen. Ich muß vor Freude sehr stark gegangen sein, denn als ich ans Tor ankam, glaubte die Wache ich fliehe. Als ich nun auch keinen Durchlaßschein aufweisen konnte, wurde ich sehr direkt wieder zurückgebracht, von wo ich ausgegangen war. Ich sagte zu meinem Gönner: „Sie treiben doch nicht Mutwillen mit mir.“ „Was ist los?“ fragt er. „Nun jetzt bin ich zum 2 male festgenommen. Ich bedarf doch eines Durchlaßscheines.“ Dann lachte er, zog aus einer Schachtel vom Tische ein kleines Täfelchen mit der Aufschrift „Durchlaß genehmigt“ und gab es mir. „So“ sagt er „jetzt können Sie ungehindert aus und eingehen.“
Es war schon 2 Uhr und vor Finsterwerden mußte ich zurück sein, sonst würde ich an dem Tage schon nicht freigelassen und der Tag darauf war Ruhetag. Mein Quartier, von wo ich Geld holen konnte, war nicht weniger als 5 Kilometer entfernt. Es viel ziemlich dichter Regen, zudem war der Boden noch so aufgeweicht durch das vorangegangene Tauwetter, daß man nicht wußte, wo man hinsteigen sollte, um nicht immer stecken zu bleiben. Aber ich wattete wie mit Unverstand durch die Straßen und sah auf nichts um mich her, um nur mein Ziel zu erreichen. Ich merkte aber bald, daß ich mir etwas unmögliches übernommen hatte. Denn 5 Kilometer hin und zurück konnte ich ganz unmöglich vor Toresschluß zurücklegen. Aber der im Himmel wohnt hatte alles vorher geordnet. Es zog mich mächtig über den Apfelmarkt zu gehen. Wie ich hinauf kam, sah ich die Schwester des Hauses, wo ich logierte. Sie hatte soeben ihre letzten Aepfel verkauft und besaß gerade soviel Geld, als ich brauchte. Ich lief zurück und bald hatte ich Quittung nebst meinen unentbehrlichen Papieren in Händen und flog wie ein freigelassener Vogel davon. Mit Jubel und Lobgesang verließ ich den Gefängnishof. Meine eigenen Worte genügten mir nicht, den Herrn zu loben. Ich suchte und griff nach Psalmausdrücken, meinem Gott für den gnädigen Ausgang zu danken. Groß sind die Werke des Herrn, wer ihrer richtet hat eitel Lust daran. Auch die Freude der Geschwister war unbeschreiblich. Wir hatten nun wieder Hoffnung, noch miteinander erbaut zu werden.
Jetzt war ich wohl frei, aber noch hatte ich keine Erlaubnis zum predigen. Am 3. März schrieb ich eine neue Eingabe folgenden Inhalts.
Dem Administrationsamte der Stadt Alma-Ata von Bürger Kor. Plett. Zweite Eingabe.
Den 25. Februar 1928 machte ich eine Eingabe zwecks Registration meines Predigerdokumentes. Anstatt Genehmigung erhielt ich 14 Tage Zwangsarbeit. Ich habe die Strafe gebüßt und bitte jetzt, nach einer solch harten Behandlung mich nicht weiter zu hindern in meiner Arbeit der Evangelisation im Bethause der Baptisten im Verlauf von 3 Wochen und mich zu registrieren.
Datum der Eingabe 3. März 1928.
Ich überreichte dem selben Manne, der mich zuvor behandelt hatte, die Eingabe. (Er kann höchstens 19 Jahre gezählt haben). „Wie sind sie so schnell entkommen?“ fragte er. „Das ist meine Sache“ sagte ich, „genug, daß sie mich unschuldigerweise bestraft haben.“ Dann schaute er lange auf die Eingabe. Endlich nahm er einen Schreibstift und mit Wucht zog er einen Schnörkel darüber. Das sollte seine Unterschrift darstellen. Dann drückte er noch einen Stempel hinzu und gab mir alles zurück, ohne auch nur ein Wort weiter zu sagen. Ich dankte und ging.
Nun durfte ich frei arbeiten. Durfte während der ganzen Zeit 2 Versammlungen am Tage abhalten. Eine allgemeine, die andere für die Brüder, die am Wort arbeiteten. Die Versammlung für alle wechselten jede Woche, in dem wir die erste Woche Erbauungs oder (wie die russischen Geschwister diese mit Vorliebe nennen) Erziehungsversammlungen hatten. An diesen Versammlungen nahmen nur Gläubige teil. Die zweite Woche wurde der Heilsplan Gottes durchgenommen, wozu wir die Türen für alle öffneten. Die dritte Woche wurde auf Wunsch der Brüder folgend eingeteilt: Drei Tage für Brüder, damit sie schneller vorwärts kamen, die andern 3 Tage für die Gemeinde. In der einen Versammlung sprachen wir über Kindererziehung, in der anderen hatten wir eine freie Unterhaltung. Ein Austausch über Wohlklang und Unarten beim Gemeindegesang, Gebet, Gemeindesteuer, Abendmahl und Bruderkuß. Die letzte war eine Abschiedsversammlung. Die lieben Geschwister interessierten sich sehr für die Arbeit. Ob auch manche 5 Kilometer zu pilgern hatten, kamen sie doch pünktlich. Manche bekannten, daß ich gerade zur Zeit gekommen sei, um sie aus dem Grabe der Gleichgültigkeit und Schwäche aufzurichten.
Während der öffentlichen Versammlungen bemerkten die Geschwister, daß die ganze Zeit über ein in der Stadt gut bekannter Advokat daran teilnahm. Die Folgen waren, daß man von Stund an seine Arbeit bei der Regierung nicht mehr anerkannte. Manches wäre noch zu sagen über die Privatgespräche, die mir ungesuchter Weise von den Geschwistern angetragen wurden. Sie würden aber zu weit führen und sollen hier nicht weiter besprochen werden, außer nach der einen Seite hin, daß alle sich beklagten über ihren Leitenden. Ich schloß aus alle  dem und den Beobachtungen, daß er wohl mehr das Talent des Regierens als das des Dienens besaß. Es schickte sich auch noch so, daß ich hier auch eine Hochzeit beiwohnen durfte. Die Brautleute baten, daß ich sie traue. Ich sagte es ihnen aber ab aus Gründen, die zu erzählen zu weit führen. Als dann aber die ganze Gemeinde einstimmig darum bat, sagte ich zu. Bei der Bitte war nun noch die Beifügung, ich möchte die Hochzeit nach deutschen Gebrauch einrichten. Ich dressierte dann erst die Brautleute ab und dann am Tage der Hochzeit spielte sich alles so ab als bei uns. Nur mit der Ausnahme, daß die Braut an der linken Seite des Bräutigams saß. Es war eine Menge rechtgläubiger Zuhörer erschienen, um sich das Schauspiel mit anzusehen. Besonders waren die jungen Geschwister interessiert daran. Sie freuten sich, daß jetzt eine neue und bessere Methode der Hochzeitsfeier bei ihnen eingeführt sei.

(Schluß folgt.)

 

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 1. August 1934, Seite 10. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Reiseerfahrungen und Reiseeindrücke von Kornelius Plett, Calgary, Alta. Reise ins Siebenflußgebiet.
(Schluß.)

Während meines Weilens in dieser Stadt wurde ich auch zu einigen aus der Gemeinde Ausgeschlossenen eingeladen. Ich bat den leitenden Bruder, er möge mich begleiten, aber er willigte nicht ein, warnte mich aber, hinzugehen. Ich konnte doch die wiederholten Bitten nicht absagen, soll man doch gerade das Verlorene suchen. Es stellte sich nun geraus, daß bei einer schwach versammelten Gemeindestunde der Ausschluß dieser Familien von dem Leitenden durchgedrückt worden war. Worüber die Mehrheit in der Gemeinde trauerte.
Der Zustand der Alma-Atiner Gemeinde dauerte mich sehr. Obzwar sie alle sehr arm sind, suchen sie doch dem Herrn zu leben und zu dienen. Sie nahmen das Wort mit Freuden auf. Wie schade, da solche Gemeinden oft der treuen Hirten entbehren. Alles wäre hier gut gewesen, wenn die Krankheit um die ausgeschlossenen Brüder nicht gewesen wäre. Die Gemeinde zählt etwa 120 Mitglieder. Die Gesamteinwohnerzahl soll sich auf 120,000belaufen. Also trifft auf 1000 Ungläubige eine gläubige Seele.
Die Stadt hat vorwiegend Europäer als Einwohner. Die Häuser sind meistens zweistöckig. Die Stadt zeigt noch überall Spuren von der anno 1921 am 20. Juni stattgefundenen Ueberschwemmung. Große Steinblöcke fast in Hausgröße  sind mit dem Wassermasse aus dem Gebirge mitgebracht und haben Häuser und Bäume mit sich fortgerissen und einige Strassen haushoch zugeschüttet. Die Stadt liegt am Fuße eines hohen Berges und hat einen Flächenraum von 8 – 9 Fuß Kilometer.
Die Geschw. Solowjows, bei denen ich während der ganzen Zeit aus und einging, haben ihr Bestes getan an mir. In der Dienstleistung eiferten sie untereinander. Die Galoschen wurden pünktlich abgewaschen, die Schuhen waren geputzt, wenn ich des Morgens erwachte. In den 34 Tagen, in denen wir Freude und Leid miteinander teilten, waren unsere Herzen so verbunden, daß der Abschied recht schwer wurde.
Und nun komme ich nochmals auf die Abschiedsversammlung zu sprechen. Ich laß ihnen noch als letztes Wort Eb. 2, 18 vor. Es flossen auch hier recht viele Tränen. Ich durfte es spüren, das sie mich liebten und auch Gottes Wort und seine Sache wieder mehr liebgewonnen hatten. Es schied keiner der Brüder aus dieser Versammlung, ohne mit einem Kuß von mir Abschied genommen zu haben. Wie besorgt waren sie alle um mich. Wirst du auch mal wieder kommen; bist du auch versorgt mit Essen auf den langen Weg? Und so hatte jeder eine Frage der Teilnahme. Eins muß ich noch erwähnen: Es war  zu rührend, als daß ichs vergessen kann. Eine arme Witwe, die gewiß nicht jeden Tag ihre Kinder satt machen konnte, kam mir auch die Hand zum Abschied reichen. In der Linken trug sie ein französisches Semmelbrot. Sie sagte: „Lieber Bruder, Gott segne dich, überschwenglich. Ich habe dich in Christo so lieb gewonnen, du hast mich über all meinen Kummer hinweggeholfen. Ich habe solche Freude während dieser Tage gehabt an Gottes Tröstungen. Himmel und Gott sind mir so nahe gekommen. Die Erlösung ist mir so teuer geworden, es wäre Unrecht von mir, wenn ich dir nicht ein Wort der Ermutigung sagen sollte. Und nun nimm von meiner Hand eine kleine Liebesgabe,“ und dabei hielt sie mir das Brötchen hin. Ich weinte wie ein Kind ob dieses Bildes. Ich sage: „Schwester, gib das Brot deinen Kinderchen, die würden sich sehr freuen und ich bin so reichlich schon versorgt für die Reise, daß ich es gut entbehren kann.“ „Bruder, ich habe mir diese kleine Liebesgabe selbst erbeten für dich, wenn du sie nicht annimmst, werde ich nicht glücklich bleiben, muß ich doch dann immer denken, es geschah, weil ich so gering und unwert bin.“ Was sollte ich machen, denn nun weinte auch sie. Ich nahm das Brötchen aus ihrer Hand, wiewohl ich wußte, daß es alles war, was sie hatte.
Der Abschied zog sich Stunden hin, so daß ich fürchten mußte, mein bestelltes Gelegenheitsfuhrwerk zu verpassen. Doch während all dieser Freuden, deren Gott mich würdigte, saß der leitende Bruder da, als ob ihn das alles nichts angehe. Das schon war mir höchst auffällig. Und als erst alle draußen waren und nur er und ich allein zurück geblieben, wer hätte das gedacht, da traf mich ein Schlag von ihm, der mich fast zu Boden streckte. Er sagte nämlich: „Ich will dir nur sagen Kornej Iwanowitsch, daß du hier mehr Schaden als Nutzen gebracht hast.“ „Erbarme“ sage ich „womit?“ darauf er: „Wenn du so willst weiter arbeiten, dann hast du besser, du bleibst zu Hause bei deinem Handwerk.“ Ich sage: „Bruder, du schlägst mich zu Boden!  „Ja“ sagt er weiter, „es ist mir sehr schade, daß ich deine Arbeit nicht gleich am Anfange abgeschnitten habe.“ „Aber, Bruder, willst du mich mit so einem Abschiedsgruße fahren lassen? Warum hast du nicht eher etwas davon gesagt, daß wir die Sache hätten besprechen können? Jetzt ist die Zeit so vorgerückt, das ich mich unmöglich länger aufhalten kann. Gott verzeihe es dir.“
Die Jugendgruppe gab mir noch bis in den Auffahrtshof das Geleit und halfen mir Koffer und Brotkorb tragen. Ich bin überzeugt, daß sie wirklich aufrichtig waren in ihrer Liebe und Freude. Weil ich dort nun doch noch etwas warten mußte auf meinen Fuhrmann, rief ich sie allein und teilte mit ihnen meinen Schmerz. Es gab wieder ein großes Weinen und Schluchzen. Alle versicherten mir, daß sie großen Segen gehabt und versuchten mich zu trösten. Der Jugendleiter meinte, es gereiche ihnen einesteils zur Genugtuung, daß ich diese Erfahrung habe machen müssen. Sonst hätte ich ihr Seufzen vielleicht nicht verstanden. „Doch trage ihn um Jesu willen wie auch wir ihn um Jesu willen dulden.“
So lange mein Gefährt zu sehen war, winkten mir die Taschentücher der lieben Sänger Abschiedsgrüße nach, bis ich ihren mitleidigen Blicken entschwunden war. So sorgte der treue Herr für das notwendige Maß von Demütigung und auch für entsprechende Ermutigung. Die Reise zurück auf dem Wagen währte wieder 5 volle Tage. Ich kam also Sonnabend den 31. Mätz nach Pispeck zurück. Ich hatte an Br. Peter Bergen, den Leitenden der Pispecker Mennoniten Br.Gemeinde  geschrieben, wenns ihnen angenehm sei, könnte ich sie auf eine Woche besuchen. Es wartete daraufhin dann auch ein Fuhrwerk auf mich und ich kam noch zu Sonntag nach Grünfeld. Um 2 Uhr nachts klopfte ich an das Fenster der Wohnung Geschw. P.Bergens. Es gab ein herzliches frohes Wiedersehen nach 2 ½ Jahren. Am Sonntag Vormittag hatten wir eine recht viel besuchte Versammlung. Von Sonntag bis Freitag wurden die Abende auf Wunsch der Geschwister mit Evangelisation zugebracht. Es durften 2 Seelen Frieden finden. Am Tage machten wir in einigen Häusern Besuche. Die Armut war dort sehr groß. Im Hause der Geschw. Isaak Penner durften wir auch über eine Jungfrau beten, nach Jak.5. die schon 8 Jahre an der Fallsucht gelitten. So verliefen auch diese Tage schnell und ich wurde von den Geschwistern wieder zur Stadt gefahren. Sonntag durfte ich dann noch in der Stadtsgemeinde in 2 Versammlungen dienen. Montag fuhr ein Bruder uns zum Bahnhof. Am 11. April kam ich wohlbehalten zu den Meinen zurück.

Ende.

 
Zuletzt geändert am 30 März, 2017