Brief von Heinrich Janzen aus Nikolaipol, Asien in der "Mennonitische Rundschau" vom 17. Mai 1911, Seite 14

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" vom 17. Mai 1911, Seite 14. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Nikolaipol, Aulie-Ata, Asien, den 11. März 1911. Da ich in der Rundschau von verschiedenen Seiten aufgefordert werde, etwas zu berichten, so greife ich zur Feder und bringe hiermit allen, die sich meiner erinnern, und bei denen ich in gutem Andenken stehe, meine herzlichsten Grüße.
Zuerst eine kleine Erklärung: Ich bin nicht mehr Lehrer, denn ich trat schon im März 1907 aus dem Schuldienst, aus Rücksicht auf meine geringe Bildung und schwachen Gesundheit, zumal meiner Körperschwächen, da ich schon 28 Jahre lang gehindert bin, das linke Bein zum Gehen zu gebrauchen. Der Herr mußte mich seiner Zeit also ziehen, und Gott sei Dank, es gelang ihm nach einiger Zeit des Sträubens von meiner Seite. Ich tröste mich, daß auch das ein Ende nimmt, u. ich in der Vollendung den vollen Gebrauch aller meiner Glieder genießen werde. O seliges Bewegen ohne Sünde, deren Folge und Einfluß! Dann finde ich Ursache besonders aus Privatbriefen, ein wenig über das Erdbeben in den frühen Morgenstunden des 22. Dez. zu berichten. Man denkt sich uns in der nächsten Nähe des Herdes der Unruhen des Erdinnern. Soviel nur bekannt, sind es von hier noch immerhin nahe an 500 Werst bis dort. Höchstwahrscheinlich ist der Mittelpunkt von den Erschütterungen der sog. „Heiße See“, dessen Wasser nie ganz abkühlt, ja bisweilen eine ziemliche Wärme  annimmt. Dieser See soll Privat-Nachrichten zufolge, etwa 100 Faden (700 Fuß. Ed.) ausgetreten sein. An seinem nördlichen Ufer entlang führt die Poststraße nach Prschewalsk, und dort sind mit dieser Uferverschiebung zugleich auch die Telegraphenstangen mit verschoben; andere sollen ganz und gar spurlos verschwunden sein. Wieder spricht man von Bodensenkungen, auch von einer Erdspalte von ca. 7 Fuß breit und einige Werst Länge nahe bei Wernoje (später Alma-Ata – E.K.).  Dies ist aber immer noch 500 Werst von unserer Ansiedlung entfernt. Bei uns hier hat es auch verschiedene Wirkungen gehabt. Wahrscheinlich ist der Unterschied auch noch in den Bettlagen zu suchen. Die Schwingungen kamen, nach den Bewegungen der Türen und Uhrgewichte zu schließen, von Osten nach Westen, was sich auch später als richtig bestätigte. In unserem Hause erwachte nur ich, und als ich meine Frau geweckt hatte, merkte ich auch schon daß es weniger wurde, und so blieben wir noch alle auf dem Lager. Die übrigen Hausgenossen erfuhren davon erst nach dem Aufstehen. Der Herr bewahrte uns alle; es durfte niemanden ein Schaden geschehen – Gnade! Der sich im Winter in ganz vereinzelten Fällen meldende Typhus tritt in letzter Zeit etwas häufiger auf; außerdem sind sonst noch manche Kranke, sodaß gegenwärtig auf unserer Ansiedlung folgende Personen mehr oder weniger leidend oder bettlägerig sind: In Gnadenthal, Br. Heinrich Kröker, sen. Br. Joh.Klaßen und Br. H.J.Kröker, etwa 19 Jahre. In Nikolajpol: Anna Wedel, Witwe Abr.Wiebe, Schwester Aron Janzen, Schwester Cor.Wall und Br. Franz Janzen. In Köppental Heinr. Neumann; dann treten leichtere Erkrankungen häufig ein; könne aber bald wieder mit Gottes Hilfe gehoben werden. Einige von obengenannten Fällen sind für uns, menschlich gesprochen, hoffnunglos, und warten die meisten sehnsüchtig auf Erlösung vom Leibe des Todes.

Heinr. Janzen
   
Zuletzt geändert am 15 Februar, 2017