Brief von Heinrich Janzen aus Nikolaipol, Asien in der "Mennonitische Rundschau" Nr. 5 vom 30. Januar 1884

 

Abgeschrieben von Elena Klassen (Email), alle ihre Berichte.

 

Kopie der Zeitung "Mennonitische Rundschau" Nr. 5 vom 30. Januar 1884, Seite 1. (gotisch) von Elena Klassen.

 

Asien.
Aulieata.
Nikolaipol, 27. Nov. 1883. Lieber Br. J.F.H., Editor der „Rundschau.“ Zuvor wünsche ich ein gesegnetes neues Jahr. Da Br. Jakob Janzen schon seit vier Wochen in Taschkent ist wegen Besichtigung des Abraham Sohn des Sibert Goerz, den das Loos zum Staatsdienst getroffen, so habe ich zu berichten, daß die neunte Sendung, nämlich 85 Dol., gehoben ist, auch befinden sich Deine Briefe in Betreff der 10. Sendung schon in unsern Händen. Die Abreise des Br. Janzen war schwer: die Familie groß, Sohn Heinrich liegt am schlimmen Beine darnieder und das Geld karg zumessen, daß an ein Zureichen kaum zu denken war. Er fuhr mit Einigen zusammen mit eigenem Fuhrwerk; haben zurück Ladung für S.G., der den Sommer in Taschkent wohnte. Kürzlich erhielt ich ein Schreiben von Br. J., daß war sogleich ein Fuhrwerk hinsenden möchten, um einen jungen Zuchtstier und ein Kuhkalb, hölländischer Rasse zu holen. Sämmtliche Ansiedler waren darauf bei mir zusammen um ein paar Mann mit Fuhrwerk zu dingen, wozu sich denn Br. Abraham Koop endlich hingab für 25 Kop. vom Wirth und etwas Hafer. Den andern Mann wollte er sich selbst selbst dingen und eigene Kost. Nun war die Frage, woher das Geld nehmen, indem nur 20x25 Kop., also 5 Rbl., einbezahlt wurden. Ihr lieben Freunde in Amerika werdet es uns verzeihen, daß wir die noch fehlenden 15 Rbl. von drei Brüdern liehen, mit dem Versprechen, dieselben mit dem aus Amerika kommenden Gelde zurückzuerstatten, obschon sich damals kein solches Geld an Hand befand und wir auch von keinem Nachricht hatten. Die drei Brüder hatten ihr weniges Geld dazu bestimmt, die Wassermühle fertig zu bauen, Haus fertig zu machen, Arbeiter zu löhnen u.s.w., doch die Gemeinde brauchte das Geld und erhielt es auch. Die Veredlung des Viehes dünkt uns doch sehr nothwendig, besonders wenn man den hiesigen  Viehstand in Betracht nimmt. Sehr gut wäre es, wenn wir wenigstens 10 Schafe und noch mehr Kühe ankaufen könnten. Große fette Hammel sind im Frühjahr, wenn die Schafe der Kirgisen sich in einem elenden Zustande befinden, bis zu 10 oder 12 Rbl. per Stück zu verkaufen. Die Schafe vermehren sich hier sehr schnell. Mit der Bereitung von Käse und Butter ließe sich hier viel machen: das Pfund Käse wird in Taschkent, wo viele Herrschaften und bis 12,000 Mann Militär sind, mit 75 Kop. bezahlt. Wie General Schernejeff uns in Assicht gestellt, wird sich die Stadt Aulieata bald vergrößern, was für uns von großem Vortheil wäre. Auch die Schweinezucht ließe sich hier sehr lohnend betreiben: Speck, Schinken und Wurst, alles hat in Taschkent einen hohen Preis. Darum, ihr lieben Glaubensgenossen, wir sind nicht ohne Hoffnung in Betreff des zeitlichen Fortkommens. Mit etwas Geld würde uns der Anfang sehr erleichtert werden, zumal das Getreide für Brot billig zu kaufen ist.*) Mit dem Brennmaterial hat es seine Schwierigkeiten, denn Stroh hat`s wenig gegeben. Einige holen sich von den 25 Werst entfernten Russen einiges Rohr, während Andere von den Kirgisen eine Art Strauch kaufen und kommt das Anheizen des Ziegelofens dann auf etwa 3 Kop. Von dem geliehenen Weizen haben wir circa den dritten Theil=1100 Pfund an Kaufmann Dwanow in Taschkent abgegeben, den Hafer alle; wir haben noch nicht Nachricht, ob uns mit dem andern noch Frist gegeben wird oder nicht. Menschlichem Besehen nach können wir es nicht jetzt abgeben, denn nur Wenige haben etwas mehr gebaut, als sie für den Winter zur Nahrung und im Frühjahr zur Aussaat brauchen.
Der Herbst war kälter als voriges Jahr: Mitte November fror es Nachts bis 12 Grad R.**), am Tage jedoch war es warm und Sonnenschein. Das Wasser läft des Frostes halber nicht mehr in den Kanälen und die nicht Cisternen (Zisternen – E.K.) haben müssen es an drei Werst fahren. So bringt denn auch der Winter seine zahlreichen Beschäftigungen mit sich: da muß nach den Mühlen gefahren werden zu den Russen oder Kirgisen, nach der Stadt Aulieata um Licht, Seife u.s.w., einzukaufen, Brennmatetial und Wasser muß herbeigeschafft werden und zu Allem gehören wenigstens warme Kleider und gute Fußbekleidung. Auch wenn wir die Geräthschaften in Betracht ziehen, so fehlt hier alles: Da sind weder Pflüge noch ist Holz für Pflüge, alles muß aus Taschken geholt werden. Weil hier nur Holzkohlen sind, so kommt auch die Schmiedearbeit theuer. So geht es denn mit der Einrichtung ziemlich langsam, ja zu langsam, denn das Geld fehlt, weil Viele schon keines hatten, als sie herkamen.
Erwähne hier noch, daß der Großfürst Nikolai Konstantinowitsch, der Vetter unseres gnädigen Kaisers, auf ein gewisses Landstück deutsche Ansiedler zur Niederlassung zu bewegen sucht; will auchetwas mithelfen; uns scheint es aber nicht gut, uns in dieser wilden Gegend zu zerstreuen. Ein Gruß an alle Leser, bekannt und unbekannt, von
Heinrich Janzen.

*) – Die inzwischen eingetroffene 10. Sendung von über 2000 Rbl. wird jedenfalls äußerst zu statten gekommen sein. – Editor.

**) - (R.- genannt nach dem William Rankine, ob unsere Mennoniten z.Z. die Temperatur in W. Rankine und nicht in Celsius gemessen haben, ist mir unbekannt. Womoglich hat die Redaktion die Werte aus den Briefen auf  ihre amerikanische Art geändert – E.K.)
   
Zuletzt geändert am 18 Dezember, 2016