Ein Besuch von Quaekern in Chortitza 1819

Willi Vogt. Mennonitische Ahnenforschung

Zeitung: "Der Bote" 1924-2007. Redaktor bis 1955 Dietrich Epp. Rosthern
Artikel: Konfessionell oder National? Ph. D. Cornies. "Der Bote" 28. Januar 1925

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Bemerkungen

Konfessionell oder National?

Probleme und Fragen, welche das Leben aufrollt, werden frueher oder spaeter vom Leben selbst geloest oder beantwortet. Das ist ein Gesetz der Entwicklung, von dem sich nicht viel abwenden laesst. Was Menschen dazu beitragen koennen, traegt in den seltensten Faellen einen bestimmten Charakter. Unsere Anteilnahme beschraenkt sich lediglich auf eine gewisse Beeinflussung, auf die Registration von gegebenen Tatsachen und auch das geschieht meistens postnumerando (nachher).
Doch ist eine solche Registration, eine solche Eroerterung von brennenden Tagesfragen und Problemen von grosser Bedeutung und durchaus notwendig, weil wir einzig und allein auf diese Weise an die grosse Masse herankommen und ihr die verborgenen Gesetze ihrer Entwicklung zum Bewusstsein bringen koennen. Und das ist unerlaesslich, wenn die Entwicklung in gesunden Bahnen verlaufen soll,
In diesem Sinne moechte ich meine Ausfuehrungen ueber das eben angefuehrte Thema verstanden haben. Ich bin da auch lediglich Registrator. Ich habe versucht den verborgenen Quellen nachzugehen, aus welchen uns Kraft und Saft fuer den wirtschaftlichen, geistigen und geistlichen Kampf des Lebens entspringt und habe versucht, den Lauf des Waesserleins zu bestimmen und aufzuzeichnen, wie er sich dem aufmerksamen Beobachter unseres Volkes zeigt.
Ich will von vornherein zugeben, dass das Thema etwas zu breit angelegt ist. Fuer den uneingeweihten erscheint es etwas komisch, die Frage in dieser Fassung zu diskutieren. Denn wen wir unseren Einschlag als Kulturfaktor recht hoch einschaetzen, so muessen wir doch nicht vergessen, das inbezug auf die Kopfzahl unser Verhaeltnis zu der uebrigen Bevoelkerung wie 1 zu 1600 ist. Wenn wir aber das Wort "national" brauchen, so klingt das ziemlich grosssprecherisch. Man muesste sich bescheidener ausdruecken. Nun laesst sich aber der Ausdruck nicht gut umgehen, weil er sich am besten deckt mit dem Begriff, den wir meinen. Denn der Begriff "national" ist hier identisch mit dem Begriff einer bestimmten Abgrenzung und Abschliessung vom uebrigen Teil in Bezug auf Rasse, Blut, Sprache, Charaktereigenart, Kulturfaehigkeit, Lebensfuehrung usw. Die Abgrenzung braucht nicht notwendigerweise auf allen Gebieten durchgefuehrt zu sein, es genuegt, wenn man sie auf mehreren Gebieten konstatieren kann, um einer Volksgruppe ihren ganz bestimmten Platz als selbstaendige Groesse anzuweisen.
Gerade das ist der Fall bei uns Mennoniten. Schon abgesehen von allem Konfessionellen und Religioesen, bewegen wir uns auf durchaus selbstaendigen Entwicklungslinien und wir muessten unser Thema etwa so formulieren: konfessionell und national. Dieses zu begruenden ist der Zweck meiner Abhandlung. Man will uns durchaus als rein religioese Gemeinschaft stempeln, mit ausgesprochen religioesen Tendenzen und Zielen. Und das auf Grund der Erwaegung, dass wir wie ein geschlossenes Ganzes, nie ein Staatengebilde im eigentlichen Sinne des Wortes dargestellt haben.
Wahr ist: eingeigelt haben wir uns nie und wenn das allein den Igel, resp. eine Nation ausmacht, dass sie sich zusammenschliesst zu blutiger Abwehr gegen fremden Angriff oder zu raeuberischem Ueberfall zwecks Landerwerb, so sind wir nie eine Nation gewesen. Denn so sehr unser Volk von jeher auf Landerwerb ausging, es geschah immer nur auf dem Wege des friedlichen Wettbewerbs. Es tut hier nichts zur Sache, dass dabei sehr oft zu skrupellosen Mitteln gegriffen wurde, dass krasser Materialismus und ausgepraegteste Eigennuetzigkeit staendige Begleiterscheinungen dieses friedlichen Wettbewerbs waren, wichtig ist hier das Prinzip, und das ist meines Erachtens immer gewahrt worden.
Doch die Geburt eines Volkes geschieht nicht immer unter Kriegswehen, sondern auch wie wir es an Juden und Karaimen sehen, unter der Einwirkung eines erhabenen religioesen Gedankens. Sind sie nun infolgedessen ausschliesslich konfessionell? Das wird niemand im Ernst behaupten wollen. Sind doch beispielsweise die Juden bekannt, als Nation unter den Nationen, die sich als solche durch viele Jahrhunderte hindurch behauptet haben, die heute dastehen als voelkische Groesse, mit der ueberall gerechnet wird. Das sehen wir auch bei unserem Volke. Uns gebar ein religioeses Motiv, der kategorische Imperativ ein nach den hoechsten Idealen menschlicher und goettlicher Offenbarungen suchenden Menschenseele. Und dieser religioese Gedanke ward der Flugapparat, die Flugkraft, die uns ueber Laender und Meere trug; aber daneben ruhte wohl verwahrt ein durchaus erdenfester, wurzelechter Kulturkeim. Und wo er sich niederliess, da war er bodenstaendig in einem Masse, wie kaum ein anderes Pflaenzchen dieser Gattung. Wohl marschierten wir immer im Zeichen einer religioesen Idee, aber daneben trug unser Panier immer die Aufschrift: Bebauet die Erde!
Unser Gewand war in Form und Schnitt im Kirchenrock, aber der Geruch des Feldes, der Kraftgeruch der Erde und der dampfenden Scholle haftete ihm an, wo wir gingen und standen. Oder, um es mit einem auf der Margenauer Konferenz von mir gemuenztem Ausdruck zu sagen: Wir riechen nicht bloss nach Religion, sondern auch nach Schwarzbrache! . . .
Man koennte uns in mancher Beziehung Bahnbrecher des religioesen Gedankens nennen, aber andererseits sind wir wohl mehr, denn je es ein Volk gewesen ist, im wahrsten Sinne des Wortes Schollenbrecher der Kultur.
Denn wo es galt, ein Neues zu pfluegen und Neuland zu roden, da waren auch die Mennoniten zur Stelle, diese Honigbienen "des Staates", wie sie ein hollaendischer Publizist nennt. So war's zwischen den Deichen des alten Holland, so war's im Ditmarschen und Friesischen, in preussischen und russischen Landen, in den Praerien Amerikas und in den endlosen Ebenen Westsibiriens. Und wo sie erschienen, da erschienen sie nicht mit leeren Haenden, sondern mit dem Kronjuwel menschlicher Arbeit und praktischer Bodenkultur, mit dem erdenbezwingendem Pfluge.
Und mit dem Pfluge begrenzten sie, um bildlich zu sprechen, ihr Weltbild und ihre Weltanschauung und schufen sich die beiden Pole, zwischen denen ihr Denken und Fuehlen, ihr Leben und Wirken hin und her pendelte und stolz nannten sie dieselben: Hof und Acker! Diese Faehigkeit des Aufgehens in der Scholle ist das eine der beiden grossen Prinzipien, des kulturellen und religioesen, die bei uns Pate gestanden haben, immer noch stehen, (jetzt nicht mehr) und diese Faehigkeit half uns zusammenschweissen zu einer selbstaendigen Gruppe mit eigenartigem voelkischem Charakter. Seit unserem Erscheinen auf der Bildflaeche der Menschheitsgeschichte ist dieser unser kultureller Einschlag nie zu verkennen gewesen.
Aber, und damit kommen wir auf das zweite, auf das religioese Prinzip, ob wir im Staube der Gassen wandelten, unsere Augen hafteten am Himmel, unsere Sehnsucht streifte die Sterne. Ich sagte schon vorhin, dass man uns die Honigbienen des Staates genannt hat. Eingehend auf diesen Vergleich moechte ich darauf hinweisen, dass wir im religioesen Gedanken, in unserer religioesen eigenartigen Auffassung, das gemeinsame Flugloch hatten, welches in Bezug auf unseren gesamten wirtschaftlichen, kulturellen und moralisch-geistigen Fortschritt unser Suchen und Finden, unser Koennen und Wollen, unsere Saat und Ernte bestimmte und foerderte. Noch mehr, dieses gemeinsame Flugloch gab uns das Gepraege der Solidaritaet, den grossen Zug in's Demokratische und Gemeinsame, der uns durch die Jahrhunderte hindurch eigen gewesen ist; es gab uns letzten Endes das, was fuer den Charakter und die Erziehung eines Volkes von hoechstem Werte ist: ein sensibles Volksgewissen und eine geschulte, geschaerfte oeffentliche Meinung. Und diese letzten beiden Faktoren war fuer unser Volksleben das, was Zaum und Gebiss fuer das Pferd sind. Denn sie zuegelten die oft ueberschaeumende Kraft unseres Volkes, welches, weil es stets unmittelbar an der reichen Mutterbrust der Erde zu liegen gewohnt war, in moralischer Beziehung leicht ueber die Straenge schlug, nun aber in Bahnen gelenkt wurde, welche einigermassen, befriedigende Resultate ergab. (Ich erinnere z. B. an die Geschichte der Entstehung und Liquidierung der Schankwirtschaften in unseren Kolonien).
Aber hinter dem Volksgewissen und der oeffentlichen Meinung stand immer der kategorische Imperativ (Befehlsform) des religioesen Gedankens als die eigentliche Triebfeder unseres geistigen resp. geistlichen Fortschritts, als das grosse Lebensprinzip der religioesen Flugkraft unserer Volksseele, wie andererseits das uns innewohnende, stark ausgepraegte Kulturprinzip die Triebfeder unseres wirtschaftlichen Fortschritts war.
Diese, unsere zwei grossen Lebensprinzipien, waeren die beiden kommunizierenden Gefaesse, deren Inhalt inbezug auf Quantitaet und Qualitaet sich immer wieder gegenseitig ergaenzte und beeinflusste. Das ist eine tiefe Wahrheit, die von den wenigsten unter uns verstanden und gewuerdigt wird, die sich aber an Hand unserer Geschichte, an unserer vierhundertjaehrigen Wuestenwanderung durch die alte und heutige Welt leicht nachweisen laesst. Es ist wahr, die Gastgeber, welche uns je und je Raum zur Herberge gaben, fragen nie in erster Linie nach dem religioesen Prinzip. Unser Passier- und Einlassschein, unser Credo und rechtskraeftiges Visum war das Kulturprinzip, das man schaetzte und achtete, waehrend das erste nur notgedrungen mit in Kauf genommen wurde. Wir waren eine gangbare Muenze; doch war es nicht das religioese Bild und Gepraege, das und begehrlich machte, sondern der helle Ton des Metalls, d. h. unsere kulturelle Taetigkeit.
Aber nur dem Zusammenwirken dieser beiden Prinzipien im Laufe der Jahrhunderte haben wir es zu verdanken, dass wir heute dastehen als selbstaendige Groesse mit nationaler Tendenz, dass man von uns spricht als von einer besonderen Gattung, dass wir als Kultur-spezie nicht bloss europaeischen, sondern sogar Weltruf geniessen.
Die Schlussfolgerung aus dem Gesagten ergibt sich von selbst. Wie jeder Stern im AEthermeer seinen Platz und seine Bahn hat, so auch wir im Voelkermeer. Und waere der Stern noch so klein, das Recht zu erscheinen nach Mass und Kraft kann ihm niemand nehmen, noch wehren. Und ist nicht unser Voelklein so ein Sternlein am Voelkerfirmamente? Ist es nicht geradezu von Bethlehem mit seiner eigenartigen Idee der Wehrlosigkeit? Ist diese Idee nicht das Hoechste, Edelste, Menschlichste was je ersonnen wurde? Ist es nicht der Stern der Weisen, den zu suchen von jeher die Besten der Menschengeschlechter sich anheischig gemacht haben und den zu finden doch nur unserem Volke, wenn auch nur zu relativem Sinne, beschieden gewesen ist? Denn die Kelle ohne Schwert, die Pflugschar ohne Spiess, die Kultur ohne Blut, wie wir sie geuebt und gepflegt haben, ist das nicht die Rose ohne Dorn, von der Dichter und Denker gesungen und geredet haben und die doch nur in unserem Garten zur Bluete gelangt ist?
Ich weiss, was man hierauf entgegnen wird. Ich weiss, dass die Ereignisse der letzten Jahre, wie wir sie in unserem Volksleben zu verzeichnen haben, eine nicht misszuverstehende Sprache reden. Ich weiss, dass ein Verrat am Volksideal stattgefunden hat. Ich weiss aber auch, dass eine Rueckkehr zu den alten Altaeren durchaus moeglich ist und durchgefuehrt werden muss, wenn wir den uns von der Geschichte angewiesenen, angestammten Platz behaupten wollen. Auf die Mittel und Wege zu einer solchen Rueckkehr will ich spaeter kommen. Und was den Verrat betrifft, so geschah es unter dem Druck von Ereignissen und Verhaeltnissen, die in ihrer Grauenhaftigkeit diesen Verrat zwar nicht rechtfertigen, aber doch entschuldigen und verstaendlich machen. Wir haben in einer Stunde hoechster Not und schlimmster Leibesgefahr Pflug und Schwert gehandhabt und haben weniger Haus und Hof, als vielmehr unser Kostbarstes, unsere Familien verteidigt. Und dass wir es nicht schlecht getan haben, davon zeugen die Reden unserer Feinde, worin bis heute das Wort "feige" im Sinne der Welt, nicht wohl aber des Glaubens, noch keinen Platz gefunden hat. Das ist eine gewisse Genugtuung. Aber trotzdem muessen wir sagen, dass diese unsere Tat in ihren Folgen dem Bienenstich gleichkommt, der uns einen teilweisen moralischen Tod gebracht hat. Es ist an der Zeit, an die Rueckkehr zu denken, ehe es zu spaet wird. Denn ich glaube trotz allem, was vorgefallen ist, immer noch an unsere spezielle Mission in der Voelkergeschichte, wie sie der Hollaender Ostersee so schoen festlegt: "Fuer alle Zeiten bleibt es von Bedeutung, dass seit der Reformation eine Kirchengemeinschaft besteht, welche eine inkarnierte (sich verkoerpernde Fleischwerdung) Erinnerung an das Ideal des Reiches Gottes genannt werden kann.

Zuletzt geaendert am 11 Februar 2007.